Gualtiero Zamboni, Integrationsbeauftragter des WDR: "Wenn man dieses Publikum nicht gewinnt, verliert man später die Existenzberechtigung."

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Minderheitenredaktionen wie jene von Heimat, fremde Heimat seien zeitgemäß wie eh und je und dürften sich nicht in die Defensive drängen lassen, sagt Gualtiero Zambonini, Integrationsbeauftragter des Westdeutschen Rundfunks. Im derStandard.at-Interview spricht er über Mediengewohnheiten von MigrantInnen und Berichterstattung, "ohne dass man mit den Zeigefinger auf 'den Ausländer' zeigt." Die meisten Migranten würden Privatsender nutzen. Öffentlich-rechtliche Sender müssten deshalb darauf achtgeben, dass Sie nicht ihre Existenzberechtigung verlieren. Die Fragen stellte Katrin Burgstaller.


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derStandard.at: Herr Zambonini, sind Spezialprogramme für Minderheiten, wie etwa Heimat, fremde Heimat des ORF oder Cosmo TV des WDR nicht mehr notwendig, wenn man das Thema programmübergreifend behandelt?

Zambonini: Ganz und gar nicht. Hätten wir nicht das Funkhaus Europa und Cosmo TV als Kaderschmiede, stünden wir ganz anders da. Aus diesen Redaktionen rekrutieren wir unsere Fachredakteure, die auch Experten für viele Spezialfragen sind. Sie dienen anderen Redakteuren als ganz selbstverständliche Ansprechpartner. Aber man muss diese Vernetzung auch wollen. Wenn eine Redaktion in einem Seitengang des ORF vor sich hinvegetiert und nicht als Kompetenzzentrum anerkannt wird, dann hat sie ein Problem. Es wäre aber ein Fehler, sich selbst in die Defensive zu drängen und zu sagen, "wir haben eine wichtige Funktion und stehen deshalb unter Denkmalschutz". Vielmehr sind diese Redakteure wertvolle Wissensträger in einem Bereich, der die gesamte Gesellschaft betrifft.

derStandard.at: Bleiben Ihre Redakteure mit Migrationshintergrund dann erst recht wieder in den Minderheitenredaktionen?

Zambonini: Ganz im Gegenteil. Viele wechseln auch in andere Redaktionen oder schaffen es als Nachrichtensprecher in die Prime Time. Wir haben zudem ein Praktikantenprogramm für Menschen mit Migrationshintergrund entwickelt. Sie absolvieren eine Hospitanz in einer der Redaktionen des WDR. Für die Redaktionen ist es wiederum wichtig zu sehen, dass da Menschen mit Potenzial dabei sind, die andere Sichtweisen einbringen.

derStandard.at: Die Medienforschung des ORF weiß dem Vernehmen nach relativ wenig über die Fernsehgewohnheiten der MigrantInnen. Ist bei Ihnen die Datenlage besser?

Zambonini: Die Quotenmessung wird auch in Deutschland nicht speziell für Haushalte mit Migrationshintergrund gemacht. Längerfristig wird das aber nötig sein. Aus Sonderuntersuchungen wissen wir aber: Die meisten nutzen Privatsender. Da müssen wir hellhörig sein. Wenn man dieses Publikum nicht gewinnt, verliert man später die Existenzberechtigung. In Bezug auf die Mediennutzung muss man aber auch berücksichtigen: Ein türkischer Lehrer hat vielleicht in seinem Medienverhalten mehr Ähnlichkeiten mit einem deutschen Lehrer als mit einem türkischen Fabriksarbeiter. Diesbezüglich steckt die Medienforschung aber noch in den Kinderschuhen.

derStandard.at: Migration ist ein heikles Thema. Vielerorts herrscht Unsicherheit, wie über Konflikte bereichtet werden soll.

Zambonini: Konflikte sind Teil der Realität in einer Einwanderungsgesellschaft. Es geht nicht darum, diese Konflikte auszublenden. Die zentrale Frage ist, wie darüber berichtet wird. Wir müssen da hingehen, wo es brennt. Das Problem ist: Wo es brennt, kommen wir nicht hinein. Auch deshalb brauchen wir mehr Journalisten mit Mirgrationshintergrund. Vieles ist ihnen leichter zugänglich.

derStandard.at: Sie sind beim WDR Beauftragter für Integration und kulturelle Vielfalt. Seit wann leistet sich der WDR einen Integrationsbeauftragten?

Zambonini: 2003 hatte die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen eine Integrationsoffensive gestartet. Das Land fragte damals beim WDR nach dem Ansprechpartner für Integrationsaufgaben. Ich war damals der Leiter des Funkhaus Europa, ein Multikulti-Integrationsprogramm des WDR. Schließlich entstand die Idee, einen Integrationsbeauftragten für das ganze Haus einzurichten. Seit 2003 bin ich dieser Integrationsbeauftragte.

derStandard.at: Was genau in diesem Job zu tun ist, mussten Sie sich wohl erst überlegen?

Zambonini: Ja, wir hatten kein Modell, an dem wir uns orientieren konnten. Zuerst machten wir eine Bestandsaufnahme. Wir wollte mehr über das Medienverhalten der MigrantInnen wissen. Wir haben unsere Programme analysiert und uns die Frage gestellt, was wir in Bezug auf Integration bisher geleistet haben.

derStandard.at: Was waren die Erkenntnisse aus diesen Analysen?

Zambonini: Unsere Programme waren besser, als wir es erwartet hatten. Mit Funkhaus Europa und Cosmo TV lieferten und liefern wir Inhalte speziell für MigrantInnen. Wir haben aber auch erkannt, dass sich das Publikum aufgrund demografischer Entwicklungen stark verändert hat. Migration ist kein Minderheitenthema mehr, sondern ein Thema, das die gesamte Gesellschaft betrifft. Oft wirkte die Berichterstattung bemüht und man betrachtete das Thema Minderheit aus der Vogelperspektive. Wir realisierten, dass Zuwanderer als Teil unseres Publikums betrachtet werden müssen und ihre Perspektive verstärkt miteinbezogen werden muss, ohne dass man mit den Zeigefinger auf "den Ausländer" zeigt. Dieser Aha-Effekt in den Redaktionen war die halbe Miete. (derStandard.at, 23. März 2009)