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In diesem Haus im Heinsberg sitzt der verurteilte Sexualtäter Karl D. Die Polizei schützt ihn vor den Bürgern.

Foto: EPA/Vennenbrand

Heinsberg/Berlin - Die Szene, die sich Abend für Abend in Heinsberg bei Aachen abspielt, folgt einer ganz eigenen Dramaturgie. Gegen 18 Uhr erscheinen rund 100 Demonstranten vor einem Einfamilienhaus. Sie zünden Kerzen an und stellen diese auf den Boden. Auf ihren Plakaten stehen eindeutige Botschaften: "Raus mit dem Kinderschänder!" Oder: "Jetzt reicht es, was muss noch geschehen?" Und, noch etwas unmissverständlicher: "Raus, du Sau!" Sowie: "Noch beschützt man dich. Wir wissen, wie du aussiehst." Dazu skandieren sie: "Kinderschänder raus, Kinderschänder raus!"

Der Protest gilt Karl D., der seit kurzem in Heinsberg im Haus seines Bruders wohnt. Der 57-jährige D. hat eine Vergangenheit, die viele Heinsberger erschreckt: Er saß mehr als 20 Jahre lang in München im Gefängnis, weil er drei Mädchen brutal vergewaltigt hatte. Die Staatsanwaltschaft hält ihn nach wie vor für rückfallgefährdet und sähe ihn am liebsten in Sicherheitsverwahrung. Doch das Gericht lehnte diese nachträgliche Maßnahme ab. Es gebe keine "neue Gefahrenlage".

Nach zwei Stunden ziehen die Demonstranten dann wieder ab. Doch am nächsten Tag kommen sie erneut. "Die Leute sind besonnen", sagt Polizeisprecher Karl-Heinz Frenken zum STANDARD. Dennoch: Die Polizei bewacht das Haus, in dem D. wohnt, mittlerweile rund um die Uhr. Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft prüft sie nun wiederum, ob die Demonstranten Straftaten begehen - etwa in unverhohlenen Drohungen dazu aufrufen, dem Mann etwas anzutun.

NPD fordert Todesstrafe

Öl ins Feuer hat ausgerechnet der Polizeipräsident selbst gegossen. Stephan Pusch, der zugleich CDU-Landrat ist, warnte die Bevölkerung eindringlich vor dem verurteilten Kinderschänder. Daraufhin klebten ortsansässige Gastwirte sogar Warnungen in ihre Schaufenster. Die Geister, die der Landrat rief, wird er nun jedoch so schnell nicht wieder los. Denn auf den Zug aufgesprungen ist auch die NPD. Die rechtsextreme Partei organisierte eine "Mahnwache" unter dem Motto: "Todesstrafe für Kinderschänder". Diese "braune Soße" brauche man in Heinsberg nun wirklich nicht, um seine eigenen Interessen zu vertreten, klagt Pusch nun. Vergeblich: Für das Wochenende ist bereits die nächste Demonstration aus dem rechtsextremen Spektrum angemeldet.

Karl D. selbst bleibt die ganze Zeit im Haus, kaum jemand hat ihn bisher zu Gesicht bekommen. Zu Reportern von Spiegel-TV sagte er, er sei "keine Zeitbombe", niemand müsse vor ihm Angst haben. Überhaupt sitze er ja nach wie vor in einem Gefängnis, weil er sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen könne. Auch seinem Bruder und dessen Familie gehe es "dreckig".

Therapie als Lösung

Kurzfristiges Aufatmen ging durch Heinsberg, als D. in eine Therapie einwilligte. Doch die Erleichterung währte nicht lange. Denn kaum in der entsprechenden Klinik angekommen, lehnte er diesen Vorschlag wieder ab. Die Polizei stürzt er damit in ein Dilemma. Einerseits muss sie die Gesellschaft vor Karl D. schützen, andererseits D. vor den aufgebrachten Bürgern. Denn in Deutschland hat jeder Straftäter, der seine Strafe abgesessen hat, das Recht, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Also bleibt der ungebetene Gast im Haus. Eines Tages will er wegziehen. Wann, ist aber unklar. (Birgit Baumann/DER STANDARD-Printausgabe, 18.3.2009)