Im seitwärts gerückten Überbiss drückt sich Härte aus: Iris Berben als stählerne Bertha Krupp. Am Sterbebett erzählt sie von Zeiten, als sie, wie abgebildet, die Kontrolle über das Imperium hatte.

Foto: ZDF

Christian Schnalke.

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Iris Berben als verbitterte Stahlbaronin Krupp zeigt ein Dreiteiler ab Sonntag im ORF. Drehbuchautor Christian Schnalke erzählte Doris Priesching, warum Berben deshalb im Bett bleiben musste und ihn Gags für Harald Schmidt langweilen.

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STANDARD: 360 Minuten Krupp. Wie haben Sie sich dem Stoff genähert?

Schnalke: Mein erster Reflex war, das überhaupt nicht zu nehmen, weil ich der Meinung war, das nicht stemmen zu können. Schließlich wurde mir doch bewusst, was für eine großartige Chance das für mich als Erzähler ist, dass ich mir sagte: So, da musst du jetzt durch.

STANDARD: Erzählen Sie uns etwas von Ihrer Recherche?

Schnalke: Ich habe insgesamt drei Jahre an „Krupp" gearbeitet und war die erste Zeit hauptsächlich mit Recherche beschäftigt und habe versucht, mich wie ein Schwamm vollzusaugen. Mit Büchern und Videos, es gibt ein Interview mit Alfred Krupp. Ich habe mir die Bücher besorgt, die er als begeisterter Fotograf binden hat lassen. Daraus kann man viel lesen: Wie beobachtet er die Welt? Was fotografiert er? Wir haben viele Gespräche geführt mit der Familie. Wir wollten von innen heraus erzählen. Der Chauffeur von Bertha Krupp hat uns ganz wertvolle Sachen erzählt.

STANDARD: Haben Sie auch mit dem heutigen Firmenchef Berthold Beitz gesprochen?

Schnalke: Mit ihm konnte ich nicht sprechen. Ihm musste ich mich von außen annähern. Es bestand von ihm kein Interesse. Er hat zudem ein großes Eigeninteresse, die Dinge auf seine Weise zu sehen. Er steckt noch sehr mittendrin. Da wäre ich sehr vorsichtig gewesen. Die Familie hat inzwischen doch mehr Distanz.

STANDARD: Reale Stoffe sind immer eine Gratwanderung zwischen Dichtung und Wahrheit. Wo haben Sie sich Ihre künstlerische Freiheit?

Schnalke: Diese letzte Nacht der Bertha Krupp, die wir als Rahmenhandlung übergelegt haben, hat es so nicht gegeben. In der letzten Nacht war Alfred Krupp auf Geschäftsreise in Kanada und hat im nachhinein von ihrem Tod erfahren. Ich habe die Gelegenheit gesucht, die Konflikte der letzten Jahre auf einen Punkt zu bringen. Von dem konnte ich die Rückblicke anlegen, die die Familiengeschichte im Detail erzählen. Die wiederum sind bis ins Detail recherchiert und sehr stimmig. Da habe ich große Verantwortung reingelegt.

STANDARD: Eine Million Reichsmark bietet Bertha Krupp der Schwiegertochter fürs Verlassen ihres Sohnes. Wahr oder falsch?

Schnalke: Das habe ich gelesen, wurde von der Familie bestätigt. Besonders in diesem Strang ist besonders viel in die Recherche eingeflossen. In einer Szene verweist der Butler die Schwiegertochter des Parks im Auftrag von Bertha Krupp. Auch das wird überliefert.

STANDARD: Und dass die Schwiegertochter Bertha als Antwort ausgelacht hat und „Entschuldigung" sagte auch?

Schnalke: Nein, das ist wieder aus dem Charakter heraus entstanden, wie ich ihn mir vorstelle.

STANDARD: Iris Berben stand als Bertha Krupp von Anfang an fest. Wie sehr haben Sie die Rolle auf sie zugeschrieben?

Schnalke: Ich bemühe mich immer, auf die Schauspieler hinzuschreiben. In dem Fall wusste ich aber, dass Frau Berben ganz, ganz große Sachen hinkriegt. Was sie tut, ist konträr zu dem, wie man sie kennt. Die arme Frau muss über weite Strecken mit der Maske einer alten Frau im Bett liegen und hat noch nicht einmal die Möglichkeit, sich groß zu bewegen. Ich wusste, dass sie das als Herausforderung sieht.

STANDARD: Deshalb hat sie auch viele Monologe. Das Hausmädchen dient da als Attrappe?

Schnalke: Aber auch diese Konstruktion entspringt der Recherche. Als ich mich eingelesen habe, habe ich mich gefragt: Mein Gott, wie mach‘ ich daraus ein Drama? In dieser Familie redet kein Mensch miteinander. Wenn die was sagen wollen, haben sie das zum Beispiel darin ausgedrückt, dass man nicht zur Hochzeit des anderen gegangen und dadurch wussten sie: Ok, der Onkel ist sauer auf mich. Wie lass‘ ich Leute miteinander umgehen, die nicht wirklich miteinander umgehen. So kam ich auf diese ungewöhnliche Konstruktion.

Ich mache einen Streit zwischen Mutter und Sohn und in dem Streit reden die beiden eben nicht miteinander. Sondern es geht darum, dass sie die Angst hat, ob er jemals wieder zu ihr kommt und der Sohn einen Abnabelungsprozess durchmacht, und ihr zum ersten Mal nicht nachgibt. In diesem Spannungsfeld redet er stellvertretend mit dem Bruder und sie stellvertretend mit dem Dienstmädchen.

STANDARD: Die Geschichte konzentriert sich fast hermetisch auf die Familiensaga. Die Arbeiterschaft bleibt nahezu völlig ausgeblendet?

Schnalke: Wenn ich eine Geschichte erzähle, dann möchte ich dem Publikum ganz nah diese Gruppe von Menschen nahe bringen. Ich versuche alles, was drumherum ist, so weit reinzubringen, was notwendig ist. Wir haben versucht, die Arbeiter so weit wie nötig reinzubringen, aber das wäre für mich wieder eine ganz andere Geschichte.

STANDARD: Wie sehr war die Mutter aller deutschen Familiensagas, die Buddenbrooks, Vorbild für Krupp?

Schnalke: Als Roman ist es das große Vorbild. Die Verfilmungen finde ich alle nicht so wertvoll für mich. Ich bemühe mich eher darum in der Wirklichkeit zu schauen. Was ist in der eigenen Familie: Welche Schwierigkeiten hatte ich mit meinem Bruder, wie kann ich mich meiner Mutter nähern? Oder Alfred Krupp, der als perfekter Firmenboss, der seiner weinenden Ehefrau nichts zu sagen weiß. Das kenne ich ja auch.

Wenn ich am Drehbuch arbeite, kann ich mich auf meine fachlichen Sachen zurückziehen. Aber wenns ans Menschliche geht, bin ich ganz anders gefordert. Diese Kleinigkeiten kenne ich aus meinem eigenen Leben und kann sie ins Große transportieren. Das sind die Versatzsteine, die das Ganze wahr und wahrhaftig machen.

STANDARD: Sie haben ein Jahr lang für Harald Schmidt Gags geschrieben. War das auf die Dauer zu langweilig?

Schnalke: Ja. Ich habe nach einem Jahr aufgehört - meine Kollegen haben mich für verrückt erklärt. Ich kam mir vor wie ein Sportler, der nur einen Arm bewegt. Weil einen Witz zu machen ist nur ein ganz minimaler winziger Ausschnitt dessen, weswegen ich Autor geworden bin. Ein Witz funktioniert immer über den Kopf. Ich kann zum Beispiel wunderbar Witze über Frauen machen ohne dass ich Emanzipation in Abrede stellen würde.

Das funktioniert alles über diese intellektuelle Ebene. Alles, was emotional passiert, wie Menschen miteinander umgehen, fehlt dabei komplett. Deshalb fühlte ich mich da nicht aufgehoben. Immer nur witzig zu sein fand ich auf die Dauer ziemlich langweilig. (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, Langfassung, 18.3.2009)