Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte
von Thomas Rottenberg

Es war heute. Da rief B. an. Wutenbrannt. Er wisse, sagte er, dass das jetzt unfair sei. Mir gegenüber. Aber, setzte er fort, das sei ihm jetzt egal. Denn er müsse reden. Und sich beschweren. Und weil er wisse, dass für sein Problem niemand zuständig ist, habe er eben beschlossen, mich anzurufen. Daran, meinte B., sei ich selbst Schuld.

Ich kenne B. nicht. Ich weiß auch nicht, woher er meine Nummer hat. Und darüber, wieso er mich anruft, wenn er auf der Suche nach dem Salzamt ist, hätte ich ihn eigentlich auch gerne gefragt. Aber das ging nicht. B. war nicht im Zuhörmodus. Ganz im Gegenteil: B. wollte sich aufregen.

Schlatzig

Und als er dann fertig war, verstand ich auch, warum. Schließlich ist es wirklich nicht fein, in ein weiches, schlatziges Glück zu greifen. Nicht, wenn man es bewusst tut. Und schon gar nicht, wenn es einem passiert. Noch dazu an einem Ort, an dem man nicht damit rechnet. Etwa im Autobus. Beim Drücken auf die Türöffner- oder Ich-will-Aussteigen-Taste.

Genau das, tobte B. sei ihm nämlich gerade passiert: Beim Drücken auf den Knopf an der Tür habe er nicht das gewohnte, harte Plastik-Erlebnis gehabt, sondern in einen Kaugummi gegriffen. Doch da man beim Reindrücken eine Knopfes ja mit einer gewissen Nachgiebigkeit der Materie rechnet, sei ihm die Andersartigkeit des Nachgebens erst aufgefallen, als es zu spät war: Der Finger hatte sich schön tief in den hier kunstvoll applizierten Kaugummi gegraben.

Kaugummifaden

Das, meinte B., wäre ja an sich schon genug gewesen. Aber irgendwie, habe er es auch noch geschafft, mit dem Ärmel seines Sakkos beim ruckartigen wegziehen der hand dann den Knopf zu streifen. Und der Kaugummifaden, den er dann rund 20 Zentimeter von der Stange wegzog, habe ihm den Tag einfach verdorben.

Und noch schlimmer sagte B., sei, dass ihm das nicht zum ersten Mal passiere: Schon vor ein paar Wochen habe er in einen Kaugummi am Türknopf gegriffen. Und sich zwar geärgert, aber das als einmalige Blöde-Buben-Attacke abgetan. Aber ein zweites Mal in der gleichen Buslinie an der gleichen Stelle das gleiche Missgeschick zu erleben, sei dann eben doch ein bisserl mühsam.

Präpariert

Ich holte Luft. Kam aber nicht zu Wort: Ja, sagte B., es stimme schon dass man dort wo man hingreift, vorher hinschauen sollte - aber, fragte B., es gäbe eben schon ein paar Dinge auf die man sich im Zusammenleben in der Stadt auch verlassen können sollte. Etwa dass U-Bahn-Türgriffe nicht abfärben. Oder eben dass Bustüröffnungsknöpfe nicht mit Kaugummi präpariert sind: Es genüge doch, dass man beim gehen ständig - und immer noch - darauf achten müsse, nicht in die Verdauungsprodukte von Hunden oder Erbrochenes zu steigen. Oder in Spuck-Rückstände irgendwelcher Halbwüchsiger.

Mehr, als B. zustimmen und ihm versprechen, dass ich seine Geschichte als Warnung verstehen und weitererzählen würde, konnte ich nicht. Aber ich glaube, mehr hat er von mir auch gar nicht erwartet. Thomas Rottenberg, 13. März 2009)