Wien - Nicht für einen weisen, altgedienten Wissenschafter am Ende seiner Laufbahn, sondern für einen aktiven Spitzenforscher in der Blüte seiner wissenschaftlichen Karriere haben sich die Verantwortlichen des Institute of Science and Technology Austria (I.S.T. Austria) bei der Wahl des ersten Präsidenten für die postgraduale Forschungseinrichtung in Klosterneuburg (NÖ) entschieden. Das Hauptinteresse des 48-jährigen Direktors des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried bei München liegt in der Erforschung der molekular-zellulären Grundlagen des Lernens, der Erinnerung und des Vergessens, wobei ihm einige Durchbrüche gelungen sind. So konnte Bonhoeffer als erster Forscher dem Gehirn "live" beim Lernen zuschauen.

In die Wiege gelegt

Wissenschaft wurde Bonhoeffer in die Wiege gelegt. Sein Vater, ein Neurobiologe, und auch Großvater und weitere Verwandte von Tobias Bonhoeffer sind oder waren herausragende Forscher. Sein Großonkel, der Theologe Dietrich Bonhoeffer, und andere Familienmitglieder waren während des Zweiten Weltkriegs Mitglieder des deutschen Widerstands und wurden vom NS-Regime hingerichtet. Allein schon sein Geburtsort klingt nach wissenschaftlicher Elite: Bonhoeffer wurde am 9. Jänner 1960 in Berkeley (US-Bundesstaat Kalifornien) geboren.

Hirnforschung als Passion

Zunächst studierte er Physik in Tübingen und wechselte - nach einem kurzen Abstecher in das Gebiet "Künstliche Intelligenz - zur Untersuchung der "natürlicher Intelligenz" im Bereich der experimentellen Hirnforschung. Er dissertierte am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen und ging dann an die Rockefeller University in New York, um im Labor von Nobelpreisträger Torsten Wiesel mitzuarbeiten. Wieder zurück in Deutschland wurde er für eine Reihe von Max-Planck-Instituten tätig: Zuerst in der Gruppe von Wolf Singer am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt, dann als Nachwuchsgruppenleiter und seit 1998 als Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie.

Im Mittelpunkt von Bonhoeffers wissenschaftlichem Interesse stehen die molekular-zellulären Vorgänge beim Lernen, Erinnern und Vergessen sowie die Frage, wie diese Abläufe zur Entwicklung des Nervensystems beitragen. Das Gehirn hat er einmal als "faszinierendstes Organ, das es gibt" bezeichnet, ihm bei der Arbeit zuzuschauen sei "spannender als jeder Kinofilm". So gelang ihm als erstem der experimentelle Nachweis dafür, dass sich das Gehirn morphologisch verändert, wenn es lernt und erinnert. Mit Hilfe einer neuen Mikroskopiertechnik spürte er winzige Auswüchse auf, die auf den feinsten Nervenverästelungen wachsen, sobald eine bestimmte Information gespeichert werden soll. Diese "dendritischen Dornen" auf den Dendriten, den Eingangsstrukturen der Nervenzellen, ermöglichen neue und stärkere Verbindungen zwischen den aktivierten Nervenzellen. Es wird vermutet, dass diese neuen Verbindungen die Basis für die Speicherung von Information bilden.

Darüber hinaus hat Bonhoeffer durch seine Arbeit nachgewiesen, wie Nervenwachstumsfaktoren an der Plastizität neuronaler Verbindungen beteiligt sind. Die Erkenntnisse Bonhoeffers könnten entscheidend für die Behandlung von Hirnkrankheiten und die Verbesserung von Lern- und Erinnerungsprozessen sein. Derzeit untersucht er beispielsweise, wie sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen bei der Alzheimer'schen Erkrankung verändern.

Bildgebung weiterentwickelt

Der Hirnforscher hat auch bildgebende Technologien weiter entwickelt, die die Beobachtung von sub-zellulären Veränderungen ermöglichen. Sein ursprüngliches Physik-Studium war dafür sicherlich förderlich. So betont man auch seitens I.S.T. Austria die besondere Bedeutung von Bonhoeffers interdisziplinärem Ansatz: "Als ausgebildeter Physiker widmet er sich der Neurobiologie; für seine Forschungstätigkeit bedient er sich hochmoderner Technik sowie Physik, um biologische und medizinische Aspekte der Hirnforschung zu untersuchen", heißt es in der Aussendung über seine Bestellung.

Bonhoeffer erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen, darunter 2004 den mit 250.000 Euro dotierten Ernst-Jung-Preis für Medizin für die Erforschung der molekularen und zellulären Vorgänge bei der Informationsspeicherung im Gehirn. 1999 wurde seine Erkenntnisse vom Wissenschaftsmagazin "Science" als "Durchbruch des Jahres" auf dem Feld der Neurowissenschaften eingestuft. Er ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gremien, etwa der EMBO (European Molecular Biology Organization). Bis 2010 gehört er im "Neuroscience Research Program" dem erlesenen Kreis von 36 Neurobiologen an, der unter Gehirnforschern als einflussreicher Rat der Weisen gilt. Zudem ist der Vater zweier Kinder der designierte Vorsitzende der Biologisch-Medizinischen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft. (APA)