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Die Meerenge von Gibraltar (im Vordergrund Afrika) dürfte sich in ein bis zwei Millionen Jahren schließen. Dann wird das Mittelmeer endgültig Geschichte sein.

Foto: APA/EPA/EFE J. RANGEL

Es ist geologisch betrachtet nicht allzu lange her, da erstreckte sich da, wo heute das Mittelmeer ist, eine karge Tiefebene. An ihren tiefsten Stellen war sie eine Salzwüste, in der vereinzelte Seen schimmerten. Hochplateaus ragten wie abgeschnittene Kegel daraus hervor. Deren Gipfel bildeten heutige Inseln wie Mallorca oder Korsika und Sardinien.

Die Mittelmeerküste fiel mehr als zwei Kilometer hinab. Tiefe Canyons durchschnitten die schroffen Hänge, in den Kerben stürzten Flüsse zu Tal. Vor sechs Millionen Jahren war das Mittelmeer ausgetrocknet, als hätte jemand einen Stöpsel gezogen. Erst jetzt gibt es schlüssige Erklärungen für dieses erstaunliche Rätsel der Geologie.

Bevor Forscher das Unglaubliche in Betracht zogen, brauchte es einige weitere Entdeckungen. Im 19. Jahrhundert stießen Bauarbeiter in Südfrankreich beim Brunnenbohren tief im Untergrund auf eine Schlucht. Später erkannten Naturkundler, dass sich dieser Graben unter dem gesamten Rhône-Tal entlangzog. Die Rhône hatte sich offenbar einst deutlich tiefer in den Boden geschnitten.

Rätselhafte Salzschicht

Ende der 1950er-Jahre entdeckten dann Ozeanografen im gesamten Boden des Mittelmeers mittels Schallwellen eine seltsame Gesteinsschicht. Wieder einige Jahre später zeigte sich, dass es sich um Salz handelte. Doch wie war das Salz auf den Grund des Mittelmeers gelangt? Und warum hatte es sich dort gleichmäßig über den gesamten Grund verteilt?

Die Bestimmung des Alters der Salzschicht im Meeresboden lieferte dann die nächste Überraschung. Es hatte sich vor fünf bis sechs Millionen Jahren abgelagert. Zu jener Zeit muss das Mittelmeer verdampft sein und das Salz hinterlassen haben, folgerten die Geologen. Die Salzschicht war allerdings stellenweise bis zu 3500 Meter dick - es hat sich also binnen einer Million Jahre hundertmal mehr Salz abgelagert, als im Mittelmeer überhaupt hätte gelöst sein können. Gab es also mehrere Verdampfungszyklen?

Die These war eine weitere Provokation. Dass ein Ozean einmal verschwindet, erschien bereits ominös. Doch ein Meer, das binnen einer Million Jahre immer wieder verdampft, überforderte die Fantasie von Geologen. Seither streiten sie über den Mechanismus.

Rob Govers von der Universität Utrecht in den Niederlanden hat nun eine Erklärung geliefert. Seinen Berechnungen zufolge trocknete das Mittelmeer nur einmal aus. Ein Großteil des Salzes habe sich dabei abgelagert, als das Meer eine übersättigte Salzbrühe war wie heute das Tote Meer. Die Einengung der Straße von Gibraltar habe den Wasseraustausch mit dem Atlantik abgewürgt, schreibt Govers nun im Fachblatt Geology (Bd. 37, S.167, 2009).

Nur über die Meerenge von Gibraltar ist das Mittelmeer mit den Ozeanen verbunden. Durch das Nadelöhr strömt an der Oberfläche Atlantikwasser herein, darunter fließt das salzigere Mittelmeerwasser hinaus. Eine Blockade würde das Mittelmeer von seiner Quelle abschneiden, das Wasser würde in rund 2000 Jahren verdunsten.

Forscher haben diverse Möglichkeiten ersonnen, wie die schmale Meerenge vor sechs Millionen Jahren blockiert worden sein könnte. Erdplatten-Verschiebungen hätten die Straße von Gibraltar verschlossen, hieß es zum Beispiel.

Govers Berechnungen liefern nun Belege für eine andere Theorie: Eine Hebung des Meeresbodens habe das Mittelmeer allmählich von seinem Zustrom abgeschnitten. Eine leichte Absenkung des Wasserpegels reichte dann aus, um die Austrocknung des Mittelmeers unumkehrbar zu machen.

Das langsame Abschnüren des Mittelmeers jedenfalls machte das Wasser zu einer übersättigten Salzbrühe, schreibt Govers. Unter der mediterranen Sonne verdunstete mehr Wasser als nachströmte, zurück blieb das Salz. Am Grund bildeten sich dicke Salzkrusten.

Irgendwann ragte vor Gibraltar der felsige Grund aus dem Wasser - die Meerenge war geschlossen, das Meer trocknete endgültig aus.

Das Becken wäre auch nicht mehr vollgelaufen, hätten nicht gewaltige Umwälzungen im Erdinneren den Meeresboden verformt. Unter Gibraltar schiebt sich eine kilometerdicke Erdplatte unter den Boden des Mittelmeers. Ihr Ruckeln lässt regelmäßig die Erde zittern: 1755 wurde von einem solchen Beben Lissabon zerstört.

Die letzte Wiederbelebung

Seit etwa fünfeinhalb Millionen Jahren taucht die Erdplatte fast senkrecht ab. Dabei zerrt sie den Grund des Mittelmeers unterhalb der Straße von Gibraltar mit in die Tiefe, berichtet Rob Govers. Das öffnete vor 5,3 Millionen Jahren die Meerenge. Es strömte wieder Wasser vom Atlantik ins Mittelmeer. Doch es war wohl die letzte Wiederbelebung.

Das Mittelmeer geht seinem Ende entgegen, es wird wieder salziger. Denn der afrikanische Kontinent driftet unaufhaltsam in Richtung Europa. In ein bis zwei Millionen Jahren wird die Erdplattenverschiebung die Meerenge von Gibraltar voraussichtlich schließen. Der Wasserpegel wird dann um einen Meter pro Jahr fallen. Schließlich werden die mediterranen Inseln wieder zu Hochgebirgen. Dann ist das Mittelmeer Geschichte. Endgültig. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Printausgabe, 11.3.2008)