Chris Cornell, 45-jähriger US-Rockstar, begibt sich mit seinem dritten Soloalbum "Scream" auf neues Terrain.

Foto: Universal

Chris Cornell hat genau das getan. Kann das gutgehen? Es kann. Weitgehend.

Wien – In einem Extrazimmer eines noblen Wiener Ringstraßenhotels voll biederer Scheußlichkeiten sitzt Chris Cornell. Er wirkt wie ein Fremdkörper in diesem Ambiente. Sein offenes Hemd legt ein paar Hippie-Ketterln am Hals frei. Seine Jeans sind herkunftsloyal (Seattle!) verschlissen und voller Löcher. Die abgefuckten Stiefel trägt er offen, am Kopf eine Wollmütze, in der Hand hält er ein Cola warm.

Cornell wirkt gelassen, auch wenn man ihn auf seine Darstellung im Booklet seines neuen Albums anspricht, in dem sein Gesicht mittels Photoshop Richtung Barbies wilder neuer Freund gepimpt wurde: "Stimmt, das sieht scheußlich aus. Das kommt davon, wenn man sich nicht dafür interessiert." Sagt's und grinst.

Eben hat er gegessen: Frankfurter Würschtel mit Pommes. Nicht wahnsinnig glamourös. Dabei handelt es sich bei Chris Cornell um einen millionenschweren Rockstar, der Ende der 1980er mit Soundgarden aus dem Biotop des Labels Sub Pop noch vor Nirvana von einer großen Plattenfirma unter Vertrag genommen worden war.

Soundgarden wurden mit ihrem am klassischen Hardrock angelehnten Sound und Alben wie "Badmotorfinger" oder "Superunknown" superbekannt. Cornell war Frontmann der Band, begann nach ihrem Ende 1997 eine Solokarriere und war 2001 Mitbegründer der Supergroup Audioslave.

Für sein nun erschienenes drittes Soloalbum "Scream" (Universal), hat er sich mit dem HipHop- und Pop-Produzenten Timbaland zusammengetan. Bereits das Cover des Albums, auf dem Cornell eine Gitarre zerschmettert, verdeutlicht die Neuausrichtung. Und dass sogar Pop-Schnucki Justin Timberlake bei einem Song Background singt, könnte die Cornell-Fanbasis nachhaltig erschüttern. Cornell zuckt da bloß mit den Schultern und sagt: "Was ist Rockmusik überhaupt? Ist eine Band wie The Killers Rock? Wer weiß das noch?"

Rockismen sind auf Scream jedenfalls wenige zu finden. Es ist ein songlastiges Dance-Album geworden, das einige herausragend gute Tracks aufweist, ein paar wenige erscheinen etwas blutleer, ein Stück wie "Ground Zero" könnte auch von Gnarls Barkley stammen. Zwei, drei Stücke weniger – etwa der gänzlich vergeigte Titelsong mit seinen Schlagzeug-Plattitüden – wären mehr gewesen. Warum hat er sich ausgerechnet den Fließbandarbeiter Timbaland ausgesucht? Cornell: "Er ist ein Workaholic. Das bin ich auch. Ich habe Geschichten von anderen HipHop-Produzenten gehört, die den ganzen Tag Playstation spielen oder Online shoppen statt Musik zu machen. So etwas wollte ich auf alle Fälle vermeiden." Abgesehen davon, gibt Cornell zu, ist er am Anfang planlos gewesen, hat bestenfalls eine vage Idee gehabt, wie die Zusammenarbeit ausfallen sollte.

"Ich bin nicht Madonna"

Cornell: "Wir kamen beide mit leeren Händen zum ersten Treffen. Wir vereinbarten bloß, dass jeder tun würde, was er sonst auch tut. Ich Songs schreiben, er Beats produzieren. Schon das erste Ergebnis gab die Richtung vor, und ich wusste, das kann ich singen. Bald entstand die Idee, ein ganzes Album zu machen. Timbaland ist jemand, den Plattenfirmen bezahlen, um erfolgreiche Popmusik zu entwerfen. Ich bin aber nicht Madonna. Das war nie meine Welt. Ich muss mich nicht an Plattenfirmenvorgaben halten. Das empfand auch Timbaland als Freiheit, und er nahm sich sechs Monate Zeit für unser Projekt."

"Scream" ist nicht so besessen, nicht so visionär gut wie etwa das LCD Soundsystem, das ebenfalls verschiedene Welten unter der Vorgabe Dancefloor zusammendenkt. Aber gerade das rockistische Insistieren in Cornells Gesang verleiht "Scream" eine originäre Note. Er wird so nicht zum willfährigen Sprachrohr, sondern bleibt weiterhin Sänger aus dem Heavy Rock. Den Pop-Appeal, ja sogar die stellenweise auftauchenden Soul-Charakteristika (Bläser, Hammond-Organ) besorgte Timbaland.

Wahnsinnig toll, gibt Cornell zu, kennt er sich in der elektronischen Musik nicht aus. Er mag "The Prodigy". Oder Ministry. Oder Nine Inch Nails. Allesamt Bands, die ohnehin mit einem Bein im Rock stehen und eher der zweiten oder dritten Generation des Industrial angehören – wenn man diesen Begriff großzügig deutet. Cornell: "Kraftwerk kannte ich als Kind. Und von den Einstürzenden Neubauten dachte ich lange, das wäre eine Art Techno-Band. Bis ich sie das erste Mal live gesehen habe."

Die Zusammenarbeit mit Timbaland hätte ihn gezwungen, sich stärker damit auseinanderzusetzen. Conclusio: "Ich mag elektronische Musik, die für Songwriting offen ist. Die Dynamik daraus zu forcieren und ein organischen Gefühl dabei zu entwickeln, war mein Ziel. Manche Ergebnisse klingen durchaus seltsam. Aber vielleicht ist genau das das Gute daran." (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 10.03.2009)