Ein Ethiker im Regiesessel: Andrej Tarkowskij.

Fotos: Filmmuseum

Ein Heiliger unter vielen: Der "Stalker" (Alexander Kajdanowski), 1974, führt Menschen mitten hinein ins Zentrum ihrer spirituellen Sehnsüchte. Er selbst verzichtet auf alles.

Fotos: Filmmuseum

Als die Bilder stocken lernten Als die Bilder stocken lernten
Mit der Sichtung von Andrej Tarkowskijs filmischem Gesamtwerk erinnert das Österreichische Filmmuseum (bis 25. März) an einen Großen des Weltkinos


Wien - Wer die Bildsprache des sowjetischen Filmkünstlers Andrej Tarkowskij (1922-1986) angemessen zu erfassen versucht, erfährt allerhand Wunder - er wird nur kaum jemals die berühmten "blauen" darunter finden. In den sieben großen Spielfilmen, die Tarkowskij unter teilweise enormem Druck durch die Sowjetbürokratie fertigstellte, geht die Filmzeit einen Pakt mit der Ewigkeit ein.

Die Kamera besitzt in Filmen wie "Andrej Rubljow" (1964/66) oder "Der Spiegel" (1974/75) scheinbar alle Zeit der Welt. Sie nähert sich in unerschütterlichen Zooms einer Wahrheit an, die jenseits des Begrifflichen liegt. Zeit ist hier das Äquivalent zu Räumen. Doch spätestens hier gerät man ins Stocken: Wenn Wasserfächer während lähmender Minuten über Wandflächen rieseln, sich die Dunkelheit in Moos- und Torffarben auf Menschen herniedersenkt - wer wüsste schon zu sagen, ob es die Seelen sind, die hier träumen? Man müsste mit Tarkowskij zugeben: Es gibt "Seelen". Sie bilden Weltinnenräume, deren Kostbarstes in ihrer Unzerstörbarkeit liegt. Man muss sich, mit Blick auf diesen völlig unvergleichlichen Filmemacher, mit der Ewigkeit aussöhnen.
Tarkowskij, Sohn eines berühmten Lyrikers (Arsenij Tarkowskij), dessen Verse er gelegentlich als Bildquelle benutzte, ist das unmögliche Produkt einer materialistischen Welt. Die aktuelle Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum zeigt mehrerlei an: Tarkowskij beginnt als scheinbar gelehriger Schüler des Sowjetfilms. Sein "echter" Erstling "Iwans Kindheit" (1962) reiht sich ein in das Muster jener vaterländischen Propaganda-Machwerke, die sich die Überlegenheit des Sowjetkommunismus damit erklären, dass Stalins Kinder in ihrer Substanz "unzerstörbar" seien. Die Weltbewegung des Kommunismus wird im Kampf gegen Hitler-Deutschland auf einmal lokalpatriotisch.

Sind russische Kinder allein deshalb aber schon Kommunisten? Die Sowjetsoldaten - Männlein wie Weiblein - taumeln in den Gefechtspausen dieses Films wie von Sinnen durch einen Birkenhain, dessen Stämme bereits das Gefängnis der Seelen - letztere verstanden als: Ewigkeitswerte - erahnen lassen. Wenn man will, könnte man sagen: Tarkowskij zeigt den Bürokraten der Planstelle "Mosfilm", was er von ihnen hält.

Das Thema von "Iwans Kindheit", einem Schwarzweißfilm, ist eine einzige Obszönität. Ein Bub, der seine Angehörigen durch den Terror der Deutschen verloren hat, wird zum Pfadfinder der Roten Armee. In künstlich stilisierten Rückblenden beschwört Tarkowskij das Glück einer Kindheit herauf, die es - nach dem Willen des großen Gesellschaftsreformers Stalin - gar niemals hat geben können.

Griff nach dem Stern

Klein-Iwan greift in einer Rückblende in einen Brunnenschacht hinunter, weil er meint, den gelben Stern, den er instinktiv richtig als vom Himmel heruntergefallen begreift, mit der Hand pflücken zu können. Es ist aber bloß sein eigenes Spiegelbild, das er mit der begierigen Intervention seiner Hand zerstört. Somit erlernt Tarkowskij, der spätere, vom Westen hofierte Dissident, was es heißt, eine eigene Grammatik der Bilder zu entwickeln. Er muss sie haltbar machen. Er muss sich gegen die Zugriffe der staatlichen Planwirtschaft immunisieren. Tarkowskij versöhnt sich mit der Idee der Ewigkeit. Er kapselt sich ab gegen einen "Fortschritt" , den ein verkommenes System als Abwicklung seiner eigenen Vorgaben begreift. Darum auch der viele Schrott in Tarkowskijs Filmen!

Filmbilder sind ihrer Struktur nach unzerstörbar. Der "Auteur" (wie man im Westen Autorenfilmer nennt) imprägniert sie gegen den Verfall. Tarkowskij wird zum Meister der Plansequenz. Der geduldige Blick auf die Ikonen, auf die Zeugnisse der Volksfrömmigkeit, lehrt, was es durchzuhalten heißt. Im konsequenten Bruch mit Sergej Eisenstein und dessen Kunst der Montage gewinnt dieser Einzelgänger noch einmal den Glauben an die Kunst zurück: Er wird zum posthumen Schüler des schrulligen Leo Tolstoj. Seine Theorie der "versiegelten Zeit" - die nur der Film aufbricht, indem er Realitätsausschnitte belichtet - ist ein ethisches Konzept.

Fortschritt bedeutet den Untergang. Tarkowskij wird einsam. Er kehrt von einem Italienaufenthalt nie mehr in die geliebte russische Heimat zurück. Für "Nostalghia" (1983), einem bereits in der Toskana gedrehten Spielfilmessay über Entwurzelung und Spiritualität, muss er sich hinterrücks beschimpfen lassen.

Er kassiert Festivalpreise - doch er weiß Frau, Schwiegermutter und Kind in der zweifelhaften Obhut der sowjetischen Behörden zurückgelassen. Tarkowskij ist nahe am Verzweifeln. Er dreht "Opfer" (1985) in Schweden (mit dem Bergman-Schauspieler Erland Josephson): Ein heiliger Narr steckt sein eigenes Landhaus auf einer schwedischen Schäreninsel in Brand. Das Holzhaus, auf einer Landzunge zwischen lauter Krüppelkiefern gelegen, brennt in Realzeit während sechs unentwegter Minuten ab. Alexander, so der Held, bringt der Welt, vor deren Atomtod er zittert, ein Opfer. Ein Krankenwagen knirscht durch die Moorlacken, zwei Pfleger versuchen, den wie von Sinnen herumspringenden Brandstifter einzufangen.

Die wenigen Augenblicke bis zu seiner "Ergreifung" sind - im Sinne Tarkowskijs - die entsiegelte Zeit: Nimm eine Kerze in die Hand! Trage sie vom einen Ende der Welt ans andere! Es gibt nichts Spirituelleres, als eine sinnlose Handlung zu setzen. Die Tat ist lächerlich, und sie gilt in den Augen der Materialisten nichts: gleich, ob es die Konsumtrottel sind oder die sozialistischen Menschenerzieher. Aber es ist der einzige sittlich reine Weg zur Unsterblichkeit.

Tarkowskij, zu Tode am Krebs erkrankt, erlebte noch, dass ihm die Sowjetbehörden den Sohn Andrjuscha in den Westen nachschickten. Moskau setzte einen "Akt des Humanismus" . Tarkowskijs Werk bleibt ein Stachel im Fleisch der Bequemen. Er wird noch dann spirituell sein, wenn die Kinocenter geschlossen haben. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 10.03.2009)

bis 25. März