Ist der Tross von hunderten Autos und Motorrädern erst einmal durch, zeugen nur noch die Spuren im Sand von dem gewaltigen Aufwand, der bei der Rallye Paris-Dakar betrieben wird. Foto  aus dem Film "7915 km", ab dem 6. März in den österreichischen Kinos.

 

Foto: Geyrhalter

Nikolaus Geyrhalter wurde 1972 in Wien geboren. Zuletzt machte sein Film "Unser täglich Brot" von sich reden.

 

Der Regisseur wird bei der "7915 km"-Vorführung im Wiener Stadtkino am Freitag, dem 6. März, um 19 Uhr 30, persönlich anwesend sein.

 

Foto: Geyrhalter

Wien - Ein Großereignis hinterlässt Spuren: Eine kleine Ziege in einem marokkanischen Dorf zum Beispiel trägt den Namen "Rallye" - sie hat das Licht der Welt erblickt, während der Fahrzeugtross der Rallye Paris-Dakar vorbeigefahren ist. In Sand und Erdreich haben sich nicht nur hier Reifenabdrücke eingegraben. Pisten und Straßen sind für die Anwohner danach oft unbrauchbar. Und während die Rallyeteilnehmer Grenzen problemlos und legal passieren, führt der Weg in die Gegenrichtung illegal auf Fischerbooten übers offene Meer und nicht selten in den sicheren Tod.

Die Rallye ist in Nikolaus Geyrhalters aktuellem Dokumentarfilm 7915 km also immer schon vorbei und trotzdem präsent. Sie fungiert als Ausgangspunkt und buchstäbliche Orientierungshilfe, weniger im Sinne einer strengen Themenvorgabe. Dadurch entgeht man einfachen Dichotomien, die der Komplexität der Verhältnisse nicht gerecht werden würden. Damit entgeht man vor allem auch einer Funktionalisierung jener Menschen, die vor der Kamera des Filmemachers Auskunft geben: Ihre Erzählungen haben einen größeren Horizont, und deshalb hat man am Ende auch einiges über ihre Lebensumstände erfahren.

Durch insgesamt fünf afrikanische Staaten, vom Königreich Marokko über die Islamische Republik Mauretanien bis in die Republik Senegal nach Dakar führt die Route. Schon allein diese Bezeichnungen öffnen den Film auf ein Außen, auf politische Zusammenhänge. Auch sonst lädt 7915 km, in seinen für Geyrhalter charakteristischen langen, großformatigen Bildern, ein, genau hinzusehen.

Wahlbeobachtung

In der Republik Mali etwa wird gerade gewählt. Ein Wahlwerber fordert bei einer Versammlung Wohnungen und Trinkwasserversorgung für alle. Eine Reihe von Frauen wartet vor einem Wahllokal, Uniformierte kontrollieren den Einlass. Drinnen, wo hinter einem grünen Tuch die Stimmen abgegeben werden, sitzt eine Frau, die ein Schild auf dem Rücken als EU-Wahlbeobachterin ausweist. Später begleitet man einen alten Beduinen, der noch immer im Führerstand eines Riesenbaggers arbeitet: Das Erz, das er fördert, wird in den Westen exportiert.

Das alles gäbe natürlich Stoff für eigene Filme. Die Anlage von 7915 km als Spurensuche erlaubt es jedoch, solche Linien anzureißen. Manche Themen, die so ganz beiläufig angesprochen werden, verdichten sich dann ohnehin aufgrund ihrer staatenübergreifenden Relevanz. Für eine zentrale Problematik findet der Film ganz am Ende sehr eindringliche Aufnahmen:

In einer kurzen Verschiebung vom dokumentarischen Bild zum Kontrollbild, wenn an Bord eines italienischen Überwachungsflugzeugs auf einem Monitor eines jener schwankenden Boote auftaucht, auf dem sich Flüchtlinge drängen, und diese Aufnahme dann kurz die ganze Leinwand füllt. (irr / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.3.2009)

 

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Endlich Zeit für Tee

Nikolaus Geyrhalter bringt in 7915 km sowohl Afrikabilder als auch Projektionen über das ersehnte Europa zutage. Der österreichische Regisseur im Interview mit Tanja Paar.


Standard: Für Ihren neuen Film sind Sie die Strecke der Rallye Paris-Dakar durch die Länder Marokko, Republik Sahara, Mauretanien, Mali und Senegal abgefahren. Er endet im Hafen von Dakar. Wie sind Sie auf die Idee für dieses Projekt gekommen?

Nikolaus Geyrhalter: Einerseits durch die mediale Berichterstattung über die Rallye. Da entstand mein persönliches Interesse: Wie schaut's da wirklich aus? Andererseits hat es mich sowieso gereizt, einen Film über Afrika zu machen, und da habe ich einen roten Faden gesucht. Da hat sich die Strecke der Rallye angeboten.

Standard: Wie lange waren Sie unterwegs?

Geyrhalter: Wir waren vier Monate lang unterwegs. Das Besondere daran war, die Leute vor Ort das erste Mal zu treffen und gleich zu drehen, wir haben das ganz bewusst so gemacht. Wenn man das vorbereitet, erfüllt man sowieso nur das eigene Klischeebild.

Standard: In dem ganzen Film gibt es keine Erzählerstimme, nur die Interviews mit den Menschen, die Sie treffen, werden übersetzt. Warum haben Sie auf alle kommentierenden Elemente verzichtet?

Geyrhalter: Das ist ein Dokumentarfilm, aber er hat auch essayistische Momente. Eigentlich will ich das nicht klassifizieren, man könnte auch sagen, es ist ein Roadmovie oder ein Reisefilm.

Standard: Gegen Ende des Filmes entfernt sich die Erzählung immer mehr vom Thema Rallye. War das so beabsichtigt oder hat sich das beim Filmen so ergeben?

Geyrhalter: Wir hatten in jedem Land einen Line-Producer (ist für die Durchführung der Produktion vor Ort zuständig Anm. der Red.), aber wir sind dann einfach bei jedem Dorf oder eben jedem Hirten, den wir getroffen haben, stehengeblieben. Die Interviews führten dann immer die Dolmetscher, und ich habe ihnen die Fragen nicht vorgegeben. Im Gegenteil, ich ermutige die Dolmetscher immer zu fragen, was SIE interessiert. Ich habe sie nur gebeten nachzuhaken, wenn es im Gespräch einen Konnex zu Europa gibt.

Standard: Ein Mädchen in einem Dorf in Marokko erzählt gleich zu Beginn des Film, dass sie Teilnehmer der Rallye zu einem Tee eingeladen habe, die aber hätten keine Zeit gehabt. Wie viel Zeit haben Sie jeweils in einem Dorf verbracht?

Geyrhalter: In diesem besagten Dorf sind wir zu Mittag angekommen und haben bis zum Abend gedreht, dann sind die Interviews übersetzt worden, ich verstehe ja auch nicht, was gesagt wird. Dann entscheiden wir, ob das Material ausreicht oder ob wir weiterdrehen. Wer langsam reist, sieht viel, das ist im Kino genauso.

Standard: Sie müssen am Ende sehr viel Material gehabt haben. Wie haben Sie ausgewählt?

Geyrhalter: Wir hatten 160, 170 Stunden Material. Da stellt sich natürlich die Frage: Wie sehr geht man in die Tiefe? Wir haben sehr viele Interviews gedreht, auch aufgrund der Entscheidung, chronologisch zu schneiden. Eigentlich hört man in jedem Dorf das Gleiche: dass die Rallye die Straßen zerstört, die dann unbenutzbar werden. Aus der Nord-Süd-Bewegung unserer Reise ist dann immer mehr eine Süd-Nord-Bewegung geworden, weil alle Gespräche bei Europa enden.

Standard: Die Europäer werden in Ihrem Film von einem der Interviewten sehr kritisiert, weil sie so viel Geld hätten und trotzdem nichts anderes täten, als sinnlos bis in die letzten Ecken der Welt zu reisen. Wie reagiert man darauf als Reisender?

Geyrhalter: Es ist klar, dass, wenn sich die Rallye mit einem derartigen Aufwand präsentiert, viele Klischeebilder von Europa bedient werden.

Standard: Obwohl es also nur vordergründig um die Rallye geht, haben Sie den Titel "7915 km" gewählt - ist das nicht eine Mogelpackung?

Geyrhalter: Der Titel erzählt auch von Genauigkeit. Es waren eben 7915 Kilometer und nicht rund 8000. Das klingt im ersten Moment sehr weit weg, ist es aber nicht. Schon nach München sind es 400 Kilometer. Die Idee war auch, durchaus Leute in den Film zu kriegen, die eigentlich nur an der Rallye interessiert sind, das interessiert mich sehr, was der Film mit ihnen macht. Es ist also ein kleiner Trick.

Standard: Würden Sie die im Film beschriebenen Länder auch privat bereisen?

Geyrhalter: Ich bin beruflich so viel unterwegs, ich habe verlernt, privat zu reisen. Ich habe auf Reisen immer das Gefühl, eigentlich etwas tun zu müssen. Gerade weil in Afrika die Gastfreundschaft so groß ist, habe ich ein schlechtes Gefühl, das alles anzunehmen. Allein schon die Tatsache, dass wir ohne weiteres nach Afrika reisen können, Europa aber zu einer Festung ausgebaut wird!

Standard: Wird der Film auch in Afrika gespielt?

Geyrhalter: Das kann schon sein, bei Festivals. Aber der Film richtet sich definitiv an ein europäisches Publikum, er ist für Europäer gemacht. Das Umdenken muss ja hier passieren. Es kann nicht sein, dass gesagt wird, wir nehmen keine Wirtschaftsflüchtlinge auf - ganz Amerika ist von Wirtschaftsflüchtlingen besiedelt worden. Dieser Konflikt wird nicht mit Zäunen zu lösen sein. Es wird Europa nur dann gut gehen, wenn die Welt insgesamt im Lot ist.

Standard: Hat die Arbeit an diesem Film Ihr Afrikabild verändert?

Geyrhalter: Nein, ich würde sagen: Nach vielen Reisen in Afrika hat mein Afrikabild mir diesen Film möglich gemacht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, RONDO, 6.3.2009)