Der Finanzmathematiker Uwe Schmock hofft, dass im Angesicht der Krise die Bedeutung von Risikomanagement erkannt wird. Spät, aber doch: Denn eigentlich hätte jeder Betroffene die Krise in den 1930er-Jahren in seinen Szenarien haben müssen.

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Das Interview führte Bettina Pfluger.

STANDARD: Vor zwei Jahren gab es weniger Absolventen, als Jobs in der Finanzmathematik verfügbar waren. Hat die Krise das verändert?

Schmock: Von der Liste der aktuellen Ausschreibungen her habe ich nicht den Eindruck. Viele Staaten übernehmen in der Krise die Garantie für Banken, und ich glaube, dass die Bankenaufsicht entsprechend komplexer wird. Es wird also insbesondere Verantwortliche geben müssen, die Risikoberichte abzeichnen und dem Vorstand und der Finanzaufsicht berichten. Dafür braucht es fundiert ausgebildete Finanzmathematiker.


STANDARD: Unlängst sagte ein EZB-Mitglied, dass die klügsten Köpfe weltweit sich bisher ihre Jobs danach ausgesucht haben, wo sie am meisten Geld verdienen. Da habe die Finanzbranche mit großzügigen Gehältern und Boni gelockt. Und diesen klugen Köpfen seien dann eben Dinge eingefallen wie verbriefte Kreditstrukturen ...

Schmock: Da kann man auch die Gegenfrage stellen, wie belastend diese Jobs sein müssen, dass sie so gut bezahlt werden müssen. Aber das Anreiz- und Selektionssystem ist wohl ein falsches. Wenn Sie privat in einen Fonds investieren und die Rendite nicht mehr passt, wechseln Sie den Fonds oder – wenn Sie was zu sagen haben – den Fondsmanager. Die Vorsichtigen, die nicht jedem schnellen Deal hinterherlaufen, sind jene, die in der Krise gut überleben würden. Oft sind sie vorher aber schon entlassen worden, weil man wegen des Profits riskantere Strategien fahren wollte. Da gibt es zweifellos eine negative Auslese.

STANDARD: Kann man mit Mathematik nur die Vergangenheit nachrechnen oder auch auf die Zukunft schließen?

Schmock: Man kann aufgrund der Vergangenheit nur eine Annahme über die Zukunft erstellen, etwa die Variabilität von Aktienkursen einschätzen. Man kann aber nicht sagen, ob nächste Woche die Aktienkurse höher oder niedriger sein werden. Also das, was die Leute wirklich interessiert.

STANDARD: Schade!

Schmock: Ja! Man kann aber auch nicht sagen, wie das Wetter im nächsten Monat sein wird. Man kann davon ausgehen, dass die Sonne öfter scheinen wird. Wann es konkret regnet, weiß man aber auch nicht.


STANDARD: Ist absehbar, wann die Krise vorbei ist?

Schmock: Wenn ich wüsste, wann die Krise vorbei ist, wäre ich ein Prophet. Aber da hilft auch die Finanzmathematik kaum weiter.

STANDARD: Derzeit wird die Copula-Formel oft zitiert. Was berechnet man damit?

Schmock: Eine Copula ist ein mathematisches Objekt, mit dem man die Abhängigkeit zwischen Zufallsgrößen beschreiben kann. Davon gibt es verschiedene Familien. Die Gauß-Copula gehört zu den einfachsten und wird daher oft angewendet. Im Risikomanagement ist diese Copula aber in vielen Fällen fehl am Platz, weil sie die Wahrscheinlichkeit, dass zwei extreme Ereignisse gleichzeitig eintreten, als zu gering einschätzt.

STANDARD: Warum kommt sie dann so oft zum Einsatz?

Schmock: Diese Copula hat nur wenige Parameter, die man abschätzen muss, damit ist das Leben einfacher. Sie rechnet das Risiko klein. Es gibt etwa bei Banken Vorschriften fürs Eigenkapital, und man will oft ja wenig Eigenkapital einsetzen, und dann ist ein rechnerisch kleines Risiko willkommen.

STANDARD: Spießen sich hier Theorie und Praxis?

Schmock: Ja. Ich hoffe, dass künftig Modelle eingesetzt werden, die das Risiko besser abbilden, aber da gibt es noch einiges mehr zu tun. (STANDARD,Printausgabe, 04.03.2009)