Einst und jetzt im Böhmerwald: Haidl im Jahr 1935, Zhuri 1998 - ein Dorf im Grenzland zu Österreich, von dem nach den Vertreibungen 1946 nichts mehr übrig blieb.

Zettwing 1922, Cetvina 2003: Eine Bürgervereinigung kümmert sich heute um die Restaurierung der alten Kirche. Fotos: antikomplex

Prag/Brünn/Wien - Rein geografisch betrachtet, sind die Sudeten, "Sudety" auf Tschechisch und Polnisch, ein malerisch-schöner Gebirgszug, der die nordöstliche Umrandung des Böhmischen Beckens zwischen dem Zittauer Becken und der Mährischen Pforte bildet. Das Gebirge ist 310 Kilometer lang und 30 bis 45 Kilometer breit.

Doch rein geografisch kann in dem Gebiet, wo einst die "Sudetendeutschen" lebten, nichts betrachtet werden. Die gemeinsame Geschichte trennt Tschechen, Polen, Deutsche und Österreicher bis heute. Das zeigt auch die Nordische Ski-WM, die am vergangenen Wochenende in Liberec (einst Reichenberg) zu Ende ging. Kein Hinweis der Veranstalter auf das sudetendeutsche Erbe der Stadt, obwohl es dem Besucher ins Auge springt, wenn er vor dem alten "Franz-Josefs-Bad" steht oder vor dem Rathaus von Liberec, das dem Wiens verblüffend ähnelt. Die Siegerehrungen fanden dafür am "Edvard-Benes-Platz" statt.

Eine Handvoll junger tschechischer Studenten störte das Verschweigen der eigenen Geschichte schon im Jahr 1998. Damals gründete der angehende Politikwissenschafter Ondøej Matejka mit einigen Freunden die "Bewegung Anti-Komplex". Seine These: "Unaufgearbeitete Geschichte verursacht bei jedem Volk Komplexe." Das wollte Matejka für Tschechien nicht zulassen. In mühevoller Kleinarbeit suchten sie etwa historische Fotos von den Dörfern, Städten, Landschaften, wo einst die Sudetendeutschen gewohnt hatten. Sie fuhren hin, schossen - möglichst aus derselben Perspektive - Fotos von heute und legten damit den Grundstein für eine Wanderausstellung, die in Tschechien und Deutschland Furore machte.

Wissenshunger

2006 entstand das Buch "Zmizelé Sudety", "Das verschwundene Sudetenland". 18.000 Stück wurden bisher verkauft, 90 Prozent davon in Tschechien. Das Buch ist für tschechische Verhältnisse ein Bestseller, es folgten zwei weitere Bücher zum Thema. "Antikomplex" ist mittlerweile ein eingetragener Verein, der vom deutsch-tschechischen Zukunftsfonds und aus EU-Mitteln finanziert wird.

Ondrej Matejka sagt, er sei auch deshalb stolz auf die Initiative, "weil sich gezeigt hat, dass sehr viele Tschechen, die heute in den Häusern der Vertriebenen leben, nach der Vergangenheit suchen." Es gebe mittlerweile eine Sensibilität für die Frage, "was hier einmal war", viele wünschten sich, mehr von damals zu wissen, um etwa ihre Häuser originalgetreu renovieren zu können. Auch die Stadt Liberec/Reichenberg nimmt, zumindest teilweise, ihr Erbe an: Immerhin gibt es seit einigen Jahren ein "Porsche-Treffen", Ferdinand Porsche wurde in einem Ortsteil von Reichenberg geboren.

Zu Österreich gebe es nur wenige Kontakte, bedauert Matejka. Versuche, die Ausstellung nach Graz zu bringen, seien bis dato gescheitert. Nur im Rahmen der "Waldviertel-Akademie" kam es im vergangenen Sommer zur "Spurensuche" bei einer Fahrradtour für Jugendliche und Studenten.

Freilich ist noch viel zu tun. Das zeigt auch der textliche Teil des Buches über das verschwundene Sudetenland. Ausstellungsbesucher notierten ihre Kommentare im Gästebuch, nicht immer fielen sie freundlich aus: "Wenn die Sudetendeutschen nicht hinter Hitler gestanden hätten, könnten sie heute noch in ihrer alten Heimat leben und die Landschaft verschönern", schrieb ein Ausstellungsbesucher in Prag. In Olmütz notierte einer schlicht: "Was soll das bedeuten? Ich verstehe das nicht." (Petra Stuiber /DER STANDARD, Printausgabe, 3.3.2009)