Wie gehabt: Es soll sich etwas ändern, und meine Kolleginnen gehen reflexartig in Kampfstellung. Aufmunitioniert wurden sie durch unsere Standesvertretung: Zwei zusätzliche Unterrichtsstunden mehr würden 10 Prozent weniger auf dem Lohnzettel bedeuten, milchmädchenrechneten die Gewerkschaftsvertreter bis in die Lehrerzimmer hinein und prangerten öffentlich die "beispiellose Abgehoben- und Unverfrorenheit" der Ministerin an. - Ich finde, es ist eine beispiellose Abgehoben- und Unverfrorenheit, wie Neugebauer und Co mit solchen Auftritten endgültig unser Image ruinieren.

Wer die Beiträge in den Ö1-Journalen gehört oder die "ZiBs" gesehen hat, der merkt sofort: Die Menschen "da draußen" verstehen uns nicht. Zu Recht. Dieses ewige Gerede von "Lehrverpflichtung", diese Minutenklauberei beim Unterricht, während hunderttausende Eltern nicht mehr wissen, woher sie das Geld für die Nachhilfestunden her nehmen sollen, weil zwischen dem, was wir in den Schulen anbieten, und dem, was die Kinder können sollen, zumindest in den sogenannten "höheren Schulen" Abgründe klaffen.

Kasperl und Krokodil

Machen wir uns bitte wegen zusätzlichen zweimal 50 Minuten jetzt nicht ins Hemd! Tun wir nicht so, als würde das den physischen und psychischen Zusammenbruch der österreichischen Lehrerschaft bedeuten. Ist denn umgekehrt jemand der Meinung, dass sich die Löcher in den Nervenkostümen der (vielen!) Burn-out-gefährdeten Kolleginnen schließen würden, wenn sie ab kommenden Herbst zwei Stunden weniger auf ihren Stundenplänen hätten? Was die für ein anständiges Leben bräuchten, wären andere Schulgebäude, andere Kolleginnen, eine andere Ausbildung - und damit verbunden ein anderes Selbstbild. Genau dafür will die Ministerin unser Steuergeld verwenden. Ihr Wort in des Finanzministers Ohr.

Wenn man will, dass sich unser Schulsystem den gesellschaftlichen Erfordernissen anpasst, dann muss sich im System auch etwas bewegen. Der Vorstoß der Ministerin, für den sie jetzt von den schwarzen und roten Gewerkschaften gehauen wird wie das Krokodil vom Kasperl, ist Bewegung in die richtige Richtung:

1. Die Lehrer/innen von morgen werden mehr Zeit mit ihren Schülern verbringen müssen.

2. Die Lehrer/inen von morgen werden mehr Zeit in der Schule verbringen müssen.

3. Die Lehrer/innen von morgen sind eine Art Lebensabschnittsbegleiter, die ihren Kindern in gemeinsamen, ganztägig geführten Schulen Wissens-, vor allem aber Sozialkompetenz vermitteln. Mit einer "Leerverpflichtung von 20 Stündchen plus viel Tagesfreizeit" werden wir diesem gesellschaftlichen Auftrag nicht gerecht werden können. Streichen wir das Wort "Lehrverpflichtung" also bitte endlich aus unseren Vokabelheften!

Natürlich, Lehrer/innen sind gebrannte Kinder. Viele Schul-"Reformen" der letzten Jahrzehnte haben sich a) entweder als Etikettenschwindel oder b) als Geldeinsparungsaktionen entpuppt. Als Beispiel für a) sei hier die Einführung der KMS (=Kooperative Mittelschule) genannt, die zur alten Hauptschule mit neuem Namen verkommen ist; als ein Beispiel für b) die vor sechs Jahren erfolgte Kürzung der Unterrichtsstunden. Übrigens: Dass sich in Umfragen fast 70 Prozent der Österreicher für die Schmied-Stunden erwärmen, liegt vermutlich daran, dass viele Eltern fälschlicherweise glauben, ihre Kinder würden dadurch mehr Unterricht erhalten. Das wäre natürlich die richtige Konsequenz, dazugesagt hat es die Ministerin bisher aber nicht. Leider.
Streik wogegen?

Auch beim Transport des Kleingedruckten in die Lehrerzimmer hat sie kein glückliches Händchen bewiesen: Warum behauptet Claudia Schmied, ihr Vorstoß würde keine Mehrarbeit bedeuten - mit dem Argument, zwei zusätzliche Unterrichtsstunden ließen sich im Rahmen unserer 40-Stunden-Woche quasi umschichten? Wie das? Sollen wir in Zukunft den Hörer auflegen, wenn der nette Herr aus Anatolien eine Viertelstunde lang nicht herausbringt, wessen Vater er ist? Sollen wir die letzte Mathe-Schularbeit im Jahr mangels unbezahlter Nachbereitungszeit unverbessert zurückgeben? Sollen wir den Polizisten, der sich aus gegebenem Anlass bereiterklärt hat, ein paar 12-Jährigen den Unterschied zwischen einem Brot- und einem Butterfly-Messer zu erklären, wieder nach Hause schicken? Vier Tage und ein (zwar spätes, aber wohltuendes) Machtwort des Kanzlers hat es gebraucht, bis wir immerhin gehört haben, dass die Arbeitszeitverlängerung keinen Lehrer den Job kosten wird.

Sei's drum, meine Gewerkschaft hat in zwei Sitzungen zu Wochenbeginn gegen die "realitätsferne" und "zynische" Haltung der Ministerin Kampfmaßnahmen beschlossen: Sofern die Ministerin nicht zurückrudert, soll noch im März gestreikt werden.

Einverstanden, streiken wir: Streiken wir für zumutbare Arbeitsplätze (Tische mit oben Platz und unten Läden wären ein Anfang); für ein neues Gehaltsschema, das Kindergärtner/innen, Volksschullehrer/innen und ganz generell junge Lehrkräfte finanziell höher stellt und unseren Beruf damit nicht nur für zukünftige Mütter interessant macht, die sich als Nebenerwerbslehrerinnen verdingen wollen; für Schulautonomie, in der Schulleiter/innen ihre Lehrer auch leiten dürfen, nicht nur verwalten; für eine flächendeckend integrative (besser noch: inklusive) Schule: Einer meiner früheren Schüler, ein hochtalentierter Rechner mit einer besonderen Form von Autismus, scheitert gerade daran, dass seine Eltern keine "höhere Schule" für ihn finden, in der jemand mit seinem komplizierten Psychohaushalt umgehen kann. Der 15-jährige Junge wird daher in einen ungeliebten Lehrberuf gedrängt, obwohl er in Mathe wahrscheinlich sogar ein Hochschulstudium erfolgreich absolvieren würde, wenn er nur erst dorthin gelänge.

Jetzt hat er halt einmal zu saufen begonnen ...(Niki Glattauer/DER STANDARD Printausgabe, 3. März 2009)