Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte
von Thomas Rottenberg

Es war vor ein paar Monaten. Da war M. dann sehr froh, dass sie in ihrer und keiner anderen Firma arbeitet. Weil, meint M., es nicht jeder Chef lustig findet, wenn die Kripo aufkreuzt.

M. hatte nämlich einen Parkschaden gemeldet: Irgendwer war ihr am Abend hinten ins Auto gedonnert und hatte zwar eine ordentliche Delle in Stoßstange und Kotflügel, aber keine Daten hinter dem Scheibenwischer zurückgelassen. Und M.s vage Hoffnung auf eine Selbstanzeige des Missetäters verflüchtigte sich, als sie dann auf der Polizeiwachstube stand. So weit, so normal.

Das Alibi

Ein paar Tage später aber wurde es seltsam: Die Polizei rief bei M. an. Und stellte seltsame Fragen: Wo sie am Tag des Parkschadens denn tagsüber gewesen sei. Ob sie sicher sei, in ihrer Firma und nicht in G. gewesen zu sein. Ob sie die Bank dort kenne. Ob sie ihr Auto eventuell hergeborgt habe. Ob sie jemanden kenne, der in G. Bankkunde sei.

M. verstand nicht - und fragte zurück: Warum? Weshalb? Und was sie in G. denn gesucht haben könnte? Aber Fragen, erfuhr M. da, habe sie keine zu stellen. Und wenn sie nicht kooperiere, könne man auch anders. Gerade in solchen Fällen. M. wurde grantig. Und das Gespräch verlief ergebnislos im Sande.

Grippe

Es war - das nur nebenbei - Grippezeit. M. lag mit Achtunddreissigkommairgendwas daheim im Bett als es etwa zehn Tage später an der Tür Sturm läutete. M. dachte nicht daran, aufzustehen. Erstens krank. Zweitens erwartete sie niemanden. Drittens war ohnehin ihre Putzfrau da. Als dann die Tür zum Schlafzimmer aufging, dachte sie daher, dass das jetzt wohl ihre Perle sei. Die ist länger bei M., als die sich erinnern kann: Sie hat schon bei ihrer Mutter geputzt, als M. noch ein Mädchen war. Dass die da jetzt einfach und ohne zu Klopfen ins Schlafzimmer kam, war zwar schon irgendwie ungewöhnlich - aber nicht weiter tragisch.

Allerdings trägt M.s Putzfrau weder Oberlippenbart noch Ledermantel. Außerdem ist sie nicht zu zweit. Aber in M.s Schlafzimmer standen ganz eindeutig zwei Männer. „Polizei", sagte der eine. Und „es warat wegen ihrem Auto." Ihr Alibi, erfuhr M. (ohne wirklich überrascht zu sein), habe sich bestätigen lassen. Aber trotzdem hätten die Polizisten eine Frage: Ob vielleicht ihr Freund neulich eine Bank ausgeraubt habe? Und ob er dabei ihr Auto verwendet hätte?

Fiebertraum

M. glaubte an einen Fiebertraum. Aber langsam fügte sich dann das Puzzle zusammen: Am Tag des Parkschadens hatte jemand in G. eine Bank überfallen. Der Räuber war, sagte die Polizei, mit einem Wagen geflüchtet, der ihrem glich. Und war dabei irgendwo angeschrammt. Somit war M. wegen eines Parkschadens ins Zentrum der polizeilichen Ermittlungen geraten.

Die Sache war mittlerweile über zwei Wochen her. Wieso man sie nicht gleich gefragt - oder aufgesucht - habe, wollte M. fragen. Aber dazu kam sie nicht: einer der Polizisten sagte, M. solle ihnen jetzt den Wagen zeigen. Dann würde sich alles klären. Oder aber sie - und ihr Freund - hätten ein Problem.

Längste repariert

M. seufzte: Der Wagen, sagte sie, sei mittlerweile repariert. Außerdem sei ihr Freund damit unterwegs. Sie - das sähen die Herren ja - läge übrigens im Bett. Weil sie krank sei. Die Polizisten blieben unbeeindruckt: M.s Freund möge sich melden. Noch besser: Vorbeikommen. Dann werde man sehen. Dann verschwanden sie wieder.

Im Vorzimmer lehnte die Putzfrau an der Wand. Totenblass. Die Männer seien einfach ohne zu fragen hereinspaziert, als sie die Tür einen Spalt geöffnet habe. Und dann, sagte sie, habe sie nicht gewagt, irgendwas zu sagen: Polizisten, ihr Akzent und keine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung wären halt eine blöde Kombination. Ob M. - oder ihr Freund - jetzt Probleme bekämen?

Flugtickets


M. rief ihren Freud an: Er werde verdächtigt, vor zwei Wochen eine Bank ausgeraubt zu haben. Entweder, sagte M. zu ihm, käme er ganz schnell mit dem Geld nach Hause und sie buche einstweilen Flugtickets nach Ganzweitweg - oder aber er fahre mit dem längst reparierten Wagen zur Polizei.

Der Freund entschied sich für Variante B. Als er am Abend nach Hause kam, war er verwundert. Denn die Polizisten waren richtig enttäuscht gewesen, als sie den Wagen sahen: Er war nämlich genau so, wie M. ihn in der Anzeige beschrieben hatte. Und für die Bankraubermittlungen bedeutete das nichts Gutes: Die Marke stimmte. Aber statt eines Kombis fährt M. Cabrio. Und es ist blau, nicht rot. Die Polizisten, sagte Mr.s Freund, hätten dann gesagt, sie müssten nun von vorne zu ermitteln beginnen. Ob das denn wirklich der Wagen von M sei? Oder ob sie nicht vielleicht noch einen zweiten habe?

Firmenbesuch

Ein paar Tage später war M. wieder in ihrer Firma. Ihr Chef tat verwundert. Was sie hier tue? Sie sei doch auf der Flucht! Ob sie einen Anwalt brauche? Denn vor ein paar Tagen seien plötzlich zwei Männer mit Schnauzern und Ledermänteln hereinspaziert. Sie hätten sich als Kriminalpolizei ausgewiesen - und erzählt, M. habe eine Bank ausgeraubt. Und werde gesucht. Und dass sie nicht an ihrem Arbeitsplatz, sondern seit einer Woche krank geschrieben sei, wäre ja wohl der beste Beweis dafür, dass etwas nicht stimme.

Ihr Chef, sagte M., habe nur gelacht - und gesagt, dass er sie, M., selbst heim geschickt habe. Weil die Symptome eher auf Grippe denn auf Bankraub hingewiesen hätten. Dann bot er an, M. daheim anzurufen. Aber das hätten die beiden Kriminalisten abgelehnt - oder genauer: verboten. Die Verdächtige dürfe nicht gewarnt werden - aber sie würden jetzt nachschauen gehen. Und die freche Täterin daheim stellen. Und so, erzählte M., sei es dann ja auch gekommen. (Thomas Rottenberg/derStandard.at, 2.3.2009)