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Rare Musical-Momente des Glücks: Lisa Antoni (als Mary Baronesse Vetsera) und Drew Sarich (als Kronprinz Rudolf).

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Wien - Sollte Rudolf den Versuch darstellen, bei uns die Sehnsucht nach Elisabeth zu wecken, dürfen wir enttäuschen. Da müsste man uns schon unter Drogen setzen. Sehr wohl jedoch ist dem alten Musical (vom Duo Kunze/Levay) gegenüber der Neuheit Rudolf - Affaire Mayerling ein Vorsprung zu attestieren: Mit Schnulzen wie Ich gehör nur mir hätte Elisabeth beim Songcontest einen der ersten drei Plätze belegt. Sohn Rudolf hinzuschicken wäre fahrlässig. Außer man würde - mit der Absicht, ein paar Monarchisten zu demütigen - den letzten Platz anstreben.

Das Faszinierende an dieser (in Ungarn schon gezeigten) nun auf Deutsch präsentierten Schöpfung ist nämlich, mit welch märchenhafter Sicherheit Tonsetzer Frank Wildhorn in ariosen Augenblicken, also an jenen Stellen, an denen ein Musical quasi sein melodiöses Herz öffnen müsste, an allem Eingängigen vorbeikomponiert hat. Es gibt natürlich reichlich hitlose Genrebelege, die von einer eleganten Stückearchitektur und einer substanzvollen Geschichte leben. Doch Rudolf will zu viel sein. Tragical wie Schnulzical. Drama mit ein bisschen Romeo und Julia. Nicht zu banal und doch naiv-romantisch.

Andererseits fehlt der Story (von Jack Murphy nach dem Roman Ein letzter Walzer von Frederic Morton erdacht) jene musikalische und dramaturgische Klammer, welche diese stückimmanente Sprunghaftigkeit zur Ganzheit geformt hätte. Sprunghaft ist ja die Musik selbst: Sie erinnert an Cabaret, an My Fair Lady, doch auch das Flair einer Anneliese-Rothenberger-Show der 70er Jahre muss sein. Zudem mangelt es auch nicht an rockigen wie schwermetalligen Gitarren, wodurch das solide Orchester unter Caspar Richter mitunter als Dezibelbelästigung Wirkung entfaltet.

Auch eine andere Balance fehlt: So hoffnungsvoll - also effektvoll durchkomponiert - Rudolf beginnt, so schnell kippt der ersten Teil in Richtung reines Sprechstück. Und bäumt sich das Ganze im zweiten Akt musikalisch auf, bricht es dann szenisch auseinander und schreitet als immer düsterer werdende Nummernrevue, deren Teile ohne bindende Übergänge auskommen müssen, dem immerhin eleganten Ende entgegen: Rudolf und Mary begeben sich in die Horizontale, dämpfen alle Kerzen aus. Dunkelheit herrscht. Es fallen zwei Schüsse.

Zu diesem Zeitpunkt jedoch war längst klar, dass hier ein mittelmäßiges Stück gerade noch irgendwie von lebenserhaltenden Äußerlichkeiten im Diesseits gehalten wird. Dazu gehören die durchwegs gekonnt arrangierten Wechsel bei Ambiente (Bühnenbild: Mike Britton) und Atmosphäre (glänzende Lichtregie: Patrick Woodroffe) - zweifellos auch die solide Regie von David Leveaux und die gediegen-konventionellen Choreografien (John O'Connell).

Auch die Angebote der singenden Darsteller helfen: Drew Sarich gibt eine fragile Figur zwischen Vaterkonflikt, politischer Utopie, Todessehnsucht und Flucht ins Vergnügen. Dieser Rudolf kränkelt, hustet unentwegt und niest den Damen ins Dekolleté. Sarich legt ihn als zerbrechlichen Melancholiker an; besonders als Verzweifelter entfaltete er auch vokal gehörige Intensität. Erwartbar: Lisa Antoni (als Mary Baronesse Vetsera) ist das lieb-kecke Mädchen, Uwe Kröger (als Graf Taaffe) jener routinierte Bühnenprofi, der einem Machtintriganten ein bisschen zu viel steife Strenge verleiht. Im ersten Akt kommt er zudem einmal gehörig in Konflikt mit den richtigen Noten. Beruhigend, dass selbst ihm das passieren kann.

Der alte Kaiser

Dann auch noch der Kaiser selbst: Claus Dam (vokal etwas angespannt) gibt einen eitlen, strengen und reschen Franz Joseph. Mal was anderes. Vollständig wird das Hauptensemble durch Carin Filipic (solide als Gräfin Larisch) und Wietske van Tongeren (als Stephanie), die leider beim Zwist mit Rudolf von ihrer Stimme in Nöte gestürzt wird. Wünschen der Produktion dennoch untertänigst ein langes Leben! Möge sie sich entwickeln und so spannend werden wie unser Versuch, ins Raimundtheater zu gelangen. Jenes Glücksgefühl, ohne Rauferei und blauen Fleck - zwischen aggressiven Kameraleuten und interviewten Promis - zur Kartenausgabestelle gelangt zu sein, konnte Rudolf vorerst ja nicht toppen. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD/ Printausgabe, 28.02/01.03.2008)