"Da wird ein eigener Maßstab für muslimische Lehrer gesetzt": Nora, 16

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Antisemitismus in der Klasse? "Klar, dass man dann rausgeschmissen wird": Ibrahim, 16

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Lehrer, die nicht auf Deutsch unterrichten - "das ist schlichtweg nicht möglich": Salma, 16

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"Es gibt auch Chemielehrer, die keine pädagogische Ausbildung haben": Yassin, 14

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Vieles wurde in den vergangenen Wochen über den Islamischen Religionsunterricht gesagt. Und bei einem waren sich alle einig: Egal, was nun unternommen wird – es solle zum Wohl der SchülerInnen sein. Was die Schüler selbst dazu zu sagen haben, schien niemanden zu interessieren. Wir haben mit vier BesucherInnen des Islamischen Religionsunterrichts darüber gesprochen, was sie vom Unterricht halten, was sie an den Medien nervt, und was sie sich vom Bundespräsidenten erwarten. Die Fragen stellte Maria Sterkl.

derStandard.at.: Wie habt ihr die Berichterstattung über den islamischen Religionsunterricht in den letzten Wochen empfunden?

Yassin: Ich finde es schon ein bisschen arg, dass man einen Monat lang darüber diskutiert, dass islamische Religionslehrer keine pädagogische Ausbildung haben. Es gibt auch Chemie- und Mathelehrer, die keine pädagogische Ausbildung haben.

derStandard.at.: Bei der Studie ging es aber nicht nur um Pädagogik. Sondern darum, dass manche Lehrer offensichtlich ein eher gestörtes Verhältnis zur Demokratie haben.

Nora: Da wird aber ein eigener Maßstab für muslimische Lehrer gesetzt. Diese Kriterien werden nur für sie ausgewertet, aber bei normalen Lehrern nicht. Das ist ungerecht. Die Debatte hat vier Wochen lang gedauert. Da frage ich mich: Haben wir in Österreich nichts Besseres zu tun? Da gibt es viel ärgere Dinge.

derStandard.at.: Zum Beispiel?

Nora: Die Beschmierung in Mauthausen. Sie haben das sicher mitgekriegt: „Was unseren Vätern der Jud, ist für uns die Moslembrut... (zitiert die volle Länge der Beschmierung)". Da hat keine einzige politische Partei etwas dazu gesagt. Das ist voll arg, oder?

Salma: Nur der Bundespräsident hat gemeint, das wäre Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Dabei war das klar gegen die Muslime gerichtet. Das war eine klare Aufforderung zum Mord. Ich will mir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Muslime so eine Aussage gegen Christen tätigen würden.

Nora: Außerdem wird da keine Nation angegriffen, sondern eine Religion. Wir muslimische Österreicher werden angegriffen. Und Fischer sagt, das ist Fremdenfeindlichkeit. Sie (spricht die Redakteurin an) sind Österreicherin und ich bin Österreicherin. Wenn er mich als Fremde bezeichnet, dann sind Sie auch eine Fremde. Sie müssten sich eigentlich auch angegriffen fühlen.

derStandard.at.: Meint ihr, dass die Beschmierung mit der Debatte über den Religionsunterricht in Zusammenhang steht?

Salma: Naja, das wäre schon ein komischer Zufall, dass jetzt so viel Kritik am Islam geübt wird, und dann passiert sowas. Natürlich bringt man das in Verbindung.

derStandard.at.: Warum glaubt ihr, dass diese Studie zum Religionsunterricht so hohe Wellen geworfen hat?

Salma: Muslime im allgemeinen stehen ja weltpolitisch derzeit nicht in so einem guten Licht. Man konnte durch diese Studie Aufmerksamkeit erzielen.

derStandard.at.: Was war eure erste Reaktion, als ihr von der Studie erfahren habt?

Salma: Ich war geschockt. Dass Religionslehrer sagen, Islam und Demokratie seien nicht miteinander vereinbar, sowas habe ich noch nie vorher gehört. Mein Religionslehrer hat noch nie Demokratie oder die österreichische Politik angegriffen. Nachdem ich von der Studie gelesen habe, habe ich viel mit Freunden diskutiert und gefragt: Sind eure Lehrer so? Und nirgends ist so etwas heraus gekommen. Dass es aber Lehrer geben soll, die nicht in der deutschen Sprache unterrichten, das ist schlichtweg nicht möglich: Mein Vater ist aus Syrien, meine Freundin ist türkischstämmig, ein anderer kommt aus Bangladesh – es gibt einfach keine andere Sprache als Deutsch, die wir alle verstehen.

derStandard.at.: Aber ganz erfunden werden die Studienergebnisse ja nicht sein.

Salma: Ich kenne natürlich nicht alle Religionslehrer. Wahrscheinlich gibt es einzelne, die mit den Vorstellungen nicht ganz im Einklang stehen. Aber dann ist das schon die Verantwortung, dass die dann dementsprechend behandelt werden und nicht mehr unterrichten dürfen.

derStandard.at.: Finden das die anderen auch richtig, dass ungeeignete Lehrer entlassen werden sollen? Zum Beispiel, wenn sie sich antisemitisch äußern?

Nora: Natürlich.

Yassin: Dazu kann ich nur sagen: Antisemitismus ist im Islam verboten.

Ibrahim: Klar, dass man dann rausgeschmissen wird.

derStandard.at.: Wie gefällt euch der Religionsunterricht?

Salma: Mir gefällt, dass der Lehrer sehr auf uns eingeht. Am Anfang des Schuljahres fragt er uns, was wir besprechen wollen, und demnach gestaltet er den Unterricht. Da werden dann aktuelle Themen besprochen und natürlich die Basics der Religion.

Ibrahim: Der Lehrer gibt meistens ein Thema vor. Aber wenn einmal etwas anderes dazwischen kommt, dann wird das auch besprochen.

derStandard.at.: Überhaupt keine Kritikpunkte? Über Schule gibt es doch selten nur Positives zu sagen.

Salma: Aber das ist ja das Gute am Religionsunterricht, dass er so eine Art Auszeit von der Schule ist. Mein Religionslehrer weiß, dass ich in der Schule einfach viel um die Ohren hab, und bei ihm können wir uns entspannen.

Ibrahim: Das erzählen mir ja auch meine Klassenkollegen, die in den katholischen Unterricht gehen. Dass sie meistens nur reden, sich einen Film anschauen. Die sind auch voll zufrieden mit ihrem Religonsunterricht.

Salma: Natürlich gibt es auch Lehrer, die anders unterrichten. In der Volksschule wollte meine Lehrerin den Koran auf türkisch akzentuiert lehren, obwohl der Koran in der Originalsprache arabisch ist. Das ist natürlich nicht okay. Aber wir haben dann mit der Lehrerin geredet, und sie hat das eingesehen. Aber seither hat sich viel verbessert.

derStandard.at.: Wie haben eure nicht-muslimischen Klassenkollegen auf die Debatte reagiert? Wurden sie neugierig, was da bei euch im Religionsunterricht vorgeht?

Nora: Ich glaube, sie haben das nicht einmal mitbekommen. Meine Klasse ist da überhaupt nicht interessiert. Die haben alle gar nichts mit Religion am Hut.

Salma: Ich hab in meiner Klasse schon Diskussionen gehabt. Sie haben haben mich gefragt, was da los ist. Die waren verwundert – von mir haben sie ja noch nie etwas Negatives über Demokratie gehört.

derStandard.at.: Ist Religionsunterricht überhaupt sinnvoll? Was haltet ihr davon, ihn durch einen Ethikunterricht zu ersetzen?

Salma: Im Club 2 gab es ja letztens eine Diskussion, ob man Religion nicht besser als Freifach anbieten soll. Aber ich glaube schon, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, die eigene Religion besser kennen zu lernen. Und ich weiß nicht, ob pubertierende Schüler ihre Freizeit dafür opfern möchten. Außerdem gehört Religion ja zur Allgemeinbildung – dass man weiß, warum es Ostern oder Ramadan gibt, zum Beispiel.

derStandard.at.: Würde es nicht auch zum Verständnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen beitragen, wenn man im Ethikunterricht über alle Religionen studiert, nicht nur die eigene?

Ibrahim: Das müsste aber ein Lehrer sein, der mit keiner Religion etwas zu tun hat und nicht parteiisch ist – und der könnte dann die einzelnen Religionen vielleicht gar nicht so gut erklären. Man würde dann nur oberflächlich drüber reden.

Salma: Außerdem fehlt die spirituelle Komponente: Ein Lehrer, der die eigene Religion auch lebt, kann sich viel besser hinein versetzen. Vielleicht kann man ja den Ethikunterricht als Freifach gestalten: Wer will, kann sich für den Ethikunterricht anmelden, wo alle Religionen zusammen kommen und die Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Aber zusätzlich zum Religionsunterricht, nicht als Ersatz.

Nora: Genau, zusätzlich, das wäre super.

derStandard.at.: Seht ihr Unterschiede in der Berichterstattung über die Religionsunterrichts-Debatte? Gibt es Medien, denen ihr hier mehr vertraut als anderen?

Yassin: Alle Medien haben die Religionslehrer angegriffen. Da braucht man nicht viel vergleichen.

Ibrahim: In den meisten Medien wurden die 20 Prozent so dargestellt, als wären es 100 Prozent. Ich will die 20 Prozent nicht klein machen. Aber es sind eben nicht alle demokratiefeindlich.

Salma: Ich habe mich von den Medien schon irgendwie angegriffen gefühlt.

derStandard.at.: Du bist ja gar keine Religionslehrerin.

Salma: Ja, aber man identifiziert sich halt irgendwie. Es war nicht so, dass ich das gelesen habe und gesagt habe: „Aha, okay." Ich werde ja als Muslima irgendwie damit in Verbindung gebracht.

derStandard.at.: Angenommen, es hätte es eine Studie über katholische Religionslehrer gegeben, die zu ähnlichen Ergebnissen kommt: Glaubt ihr, dass die Medien das auch so groß gespielt hätten?

Salma: Kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen.

Nora: Ich auch nicht.

derStandard.at.: Wird über Muslime also generell eher negativ berichtet?

Salma: Man könnte schon sagen, dass die Muslime oft als Sündenbock für alles Schlechte genommen werden. Egal, was ist – die Muslime sind schuld.

Yassin: Wenn man in der Kronen-Zeitung ein riesiges Strache-Inserat, „Daham statt Islam" sieht, dann fragt man sich schon: Wie kommt das da rein?

derStandard.at.: In einem STANDARD-Kommentar der anderen sagt der Vorarlberger Religionslehrer Aly El Ghoubashi, viele Muslime in Österreich fühlten sich hier als „Gast". Wie steht ihr dazu?

Nora: Ich sehe das ganz und gar nicht so. Ich bin Österreicherin. Muslimische Österreicherin. Ich bin über 16 und gehe wählen, ich habe mitgestimmt, wie die österreichische Politik ausschauen soll. Das ist mein Heimatland, ich könnte mich nirgends anders wohl fühlen. Ich verleugne aber auch nicht meine palästinensischen Wurzeln. Ich kenne ihre Traditionen, ihre Kultur. Aber Österreich ist mein Land.

Yassin: Man intergriert sich halt.

Ibrahim: Aber man vergisst nicht ganz die eigenen Wurzeln.

Salma: Wir brauchen uns nicht zu integrieren, wir sind ja schon Teil der Gesellschaft.

derStandard.at.: Manchmal hat man den Eindruck, muslimische Communities dulden keine öffentliche Kritik. Kritik ja, aber nur intern – man werde ohnehin schon genug „von außen" angegriffen.

Salma: Von den Nicht-Muslimen wird ohnehin schon genug Druck ausgeübt. Wenn man jetzt von den Muslimen selber hört, Religionslehrer sind schlecht, und dann wird das von den Medien aufgeheizt, dann kommt man schon schnell in eine Rechtfertigungsecke. Interne Kritik ist angebracht, keine Frage. Gut, dass es sie gibt, und jetzt greifen wir sie auf und machen etwas dagegen. Aber ob man das öffentlich ausbreiten soll, weiß ich nicht.

derStandard.at.: Man macht es sich also lieber unter sich aus.

Salma: Nein, wir wollen uns ja nicht abkapseln. Die Meinung der anderen ist ja extrem wichtig. Aber wenn man den Islam nur schlechtmachen will, ist das fragwürdig. (Maria Sterkl, derStandard.at, 27.2.2009)