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Das Fersenblut der Neugeborenen wird auf 29 verschiedene Stoffwechselerkrankungen untersucht

Foto: AP/Uwe Lein

"Leider können wir ihrem Kind nur mehr eine Physiotherapie anbieten", erzählt Olaf Bodamer, Leiter des Zentrums für angeborene Stoffwechselerkrankungen und pädiatrische Genetik an der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, von seinen ersten schrecklichen Begegnungen mit lysosomalen Speicherkrankheiten. Vor rund 15 Jahren war er noch regelmäßig Übermittler solcher Hiobsbotschaften. Heute schätzt er sich vergleichsweise glücklich. Das öffentliche Interesse an diesen Erkrankungen ist deutlich gestiegen und vielen Familien mit stoffwechselkranken Kindern kann er bereits eine Therapie anbieten.

Abfalleimer Zelle

50 verschiedene Erbspeicherkrankheiten sind mittlerweile bekannt. Allen liegt ein bestimmter Enzymdefekt im lysosomalen Abbauapparat zu Grunde. Zum besseren Verständnis: Im gesunden Organismus fungieren Lysosomen als „Mistkübel einer Zelle". Sie sammeln überflüssige Stoffwechselprodukte und beschleunigen ihren Abbau mit Hilfe diverser Eiweißmoleküle (Enzyme). Fehlt ein Enzym, dann kumulieren die Abfallprodukte in Geweben und Organen und beeinträchtigen irgendwann auch deren Funktion. Herz, Leber, Milz und Muskelgewebe sind bevorzugt davon betroffen. In 50 Prozent der erkrankten Fälle gibt es auch eine Mitbeteiligung des Gehirns.

Enzyme ersetzen

Über kurz oder lang wird die ultimative Lösung die Gentherapie sein. Derzeit ist an eine Heilung angeborener Stoffwechselerkrankungen zwar noch nicht zu denken, für einige wenige Krankheitsbilder hat sich aber die Enzymersatztherapie etabliert. Das therapeutische Prinzip hinter dieser Behandlung ist ebenso einfach wie logisch: Das fehlende Enzym wird ersetzt. Die Lysosomen der Patienten, die an Mucopolysaccaridose Typ I und II, Morbus Gaucher, Morbus Fabry oder dem Morbus Pompe erkrankt sind, nehmen ihre Tätigkeit wieder auf.

Stich in die Ferse

"Morbus Pompe Patienten profitieren besonders von der Enzymersatzherapie, da diese Erkrankung keine ZNS-Beteiligung zeigt", weiß Bodamer und widmet seine Aufmerksamkeit speziell dieser lysosomalen Erkrankung. Therapeutisch betrachtet ist der Morbus Pompe begünstigt, denn Enzymersatztherapien erreichen auch bei venöser Gabe niemals das Gehirn. Trotzdem ist eine Früherkennung schwierig geblieben, da diese Speicherkrankung noch nicht Bestandteil des Neugeborenen-Screenings ist.

Das Neugeborenen-Screening ist ein wichtiges diagnostisches Instrument, dass in Österreich seit den 60-er Jahren hervorragend funktioniert. 76.000 Neugeborene jährlich werden am dritten Tag ihres Lebens in die Ferse gestochen und auf 29 erbliche Stoffwechselerkrankungen untersucht. Mit einer Tandem-Massenspektroskopie (TMS) wird seit 2002 in einem einzigen Blutstropfen die Aktivität verschiedener Enzyme bestimmt. Bei 70 Kindern jährlich wird auf diese Weise eine angeborene Störung rechtzeitig erkannt und therapiert.

Zeit drängt

Beim Morbus Pompe lässt das Screening noch auf sich warten. „Dabei ist der Zeitdruck bei dieser Erkrankung besonders hoch", veranschaulicht Bodamer die dramatische Entwicklung der infantilen Form eines Morbus Pompe. Unbehandelt erleben die kranken Kinder nur in Ausnahmefällen ihren ersten Geburtstag. Meist versagt das massiv vergrößerte Herz bereits wesentlich früher. „Die Babys leiden unter Trinkunlust, Müdigkeit und Muskelschwäche", weiß der Wiener Spezialist für Erbspeicherkrankheiten und sieht auch in der verstärkten Aufklärung von Ärzten einen Weg zu rascheren Diagnosen.

Seit 2006 ist in Österreich eine eigene Enzymersatztherapie für den Morbus Pompe zugelassen. Jedoch profitieren die Kinder nur bei frühzeitiger Behandlung davon. Bodamer plädiert erneut für eine Aufnahme des Morbus Pompe in das reguläre Screening-Programm, und erinnert an das eine Kind jährlich, dem man mit Hilfe dieser Untersuchung unendlich viel Leid erspart. (Regina Philipp, derStandard.at, 25.02.2009)