Bei der "Verkündigung" Lorenzo di Credis fallen die Schatten in zwei Richtungen - nicht zwingend ein Fehler.

 

 

Foto: Museo Thyssen-Bornemisza

Objektiv betrachtet waren Renaissance-Maler erstaunlich unfähig. Nicht nur dass sie mit der Perspektive kaum zurande kamen. Die Schatten hatten sie wirklich nicht im Griff. Ein Blick auf Lorenzo di Credis Verkündigung, wo auf engstem Raum ganz offensichtlich zwei Schatten in zwei unterschiedliche Richtungen fallen, beweist dies. Das Bild stammt aus den 1480er-Jahren. Doch die Künstler waren recht lernfähig. Wie sich der Schatten in der Kunst in den darauffolgenden 500 Jahren entwickelte, kann man derzeit in Madrid begutachten.

Exakt von 1419 (Stigmatisation des Hl. Franziskus) bis 2003 (Kill Bill Vol. I) streckt sich der Zeitbogen von La Sombra / Shadows im Museo Thyssen-Bornemisza und der Fundación Caja Madrid, die Victor I. Stoichita von der Universität Freiburg kuratiert. Ein Professor als Kurator ist eher ungewöhnlich - aber Stoichita hat schließlich Eine kurze Geschichte des Schattens (im Verlag Wilhelm Fink 1999 erschienen) geschrieben.

Das Gegenteil von Licht trägt ja eigentlich Schuld, dass Kunst überhaupt entstanden ist. Das sagt zumindest Plinius der Ältere. Weil ihr Geliebter sich an einen anderen Ort begeben und sie verlassen musste, zeichnete ein Mädchen den Schattenriss seines Kopfes an die Wand, berichtet er. Ein Vorfall, der Künstler über mehrere hundert Jahre hinweg inspirierte, wie der erste Raum der Ausstellung zeigt. Wenngleich es nicht immer ein junger Bursche sein muss, der dargestellt ist - auch der Sowjetdiktator Josef Stalin kam so auf die Leinwand.

144 Bilder und Fotos präsentiert Stoichita in Madrid, um noch bis zum 17. Mai zu zeigen, warum der Schatten das eine Mal gut und ein anderes Mal schlecht ist. Für Rembrandt beispielsweise eindeutig Ersteres, setzte er doch die dunklen Flächen wegen des dramatischen Effektes ein - oder um Plastizität zu erzeugen wie bei dem Bild Der Prediger Jan Cornelius Sylvius, das aussieht wie durch die 3-D-Brille betrachtet. Ganz anders in der Romantik und im Symbolismus, etwa in den Treppenbildern von Xavier Mellery (1845-1921).

Bedrohung der Nonnen

Hier wird der Schatten zur Bedrohung, Unbehagen befällt den Betrachter. Zwar ist nichts Bedrohliches zu sehen, in Nach dem Abendgebet (1910) zum Beispiel marschieren lediglich vier Nonnen treppaufwärts. Und dennoch: Die Düsternis suggeriert, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, dass sie ein dunkles Geheimnis umgibt.

Selbstverständlich ein Stilmittel, das in den darauffolgenden Jahrzehnten populär bleibt. Sei es in Salvador Dalís surrealistischen Gemälden, in denen die traumhafte Stimmung auch von den Schatten der verloren in der Landschaft stehenden Objekten herrührt, sei es in Nosferatu, dem Vampirfilm-Klassiker von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1922 - oder im einzigen Ausstellungsobjekt mit Österreich-Bezug - Carol Reeds Filmklassiker Der dritte Mann.

Wäre es nach Stoichita gegangen, hätte es noch viel mehr zu sehen gegeben. "Ich hatte bei Museen und Sammlern wegen 400 Bildern angefragt, aber eben nur einen Teil bekommen. So fehlen uns Caravaggio oder Velázquez", schildert er dem Standard. Ihm bleibt die Hoffnung, dass die Besucher "nach dieser Ausstellung auch bekannte Bilder aus einem neuen Blickwinkel betrachten können".

Auch die der Renaissance-Künstler. Die waren nämlich gar nicht ganz so unfähig. "Vielen war der Schatten einfach unangenehm, weil er ihrer Bildsprache widersprach. Sie hätten ihn zwar malen können, aber selbst Leonardo da Vinci hat festgestellt, dass man nicht jeden Schatten darstellen könne und solle." (Michael Möseneder aus Madrid / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.2.2009)