Der Wirtschaftsanwalt Julian Roberts sieht in den Leasinggeschäften tatsächlich einen Handel mit Kreditrisiken.

Foto: Rössner Rechtsanwälte

Der britisch-deutsche Wirtschaftsanwalt Julian Roberts hat die geheimen Cross-Border-Verträge einer Stadt im Ruhrgebiet studiert und ermuntert Gemeinden, Stadtwerke und Verkehrsbetriebe zum Ausstieg aus diesen Deals. Sale-and-Lease-Back seien brandgefährliche Kreditwetten, die Staatsbetrieben und damit Steuerzahlern teuer kommen, warnt Roberts im Gespräch mit Luise Ungerboeck

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STANDARD: Warum ist das seit Mitte der 1990er Jahren praktizierte Vermieten und Zurückmieten von Kraftwerken, Bahnhöfen, Telefon- und Kanalnetzen plötzlich gefährlich? Noch vor fünf Jahren wurde Cross-Border-Leasing (CBL) als todsicheres Geschäft gepriesen.

Roberts: Der Punkt ist, dass das in Deutschland und Österreich keine richtigen Sale-and-Lease-Back-Geschäfte sind. Die sind so getarnt, aber eigentlich handelt es sich um Kreditgeschäfte. Mittlerweile haben zwei US-Gerichte den Steuervorteil bereits aberkannt und CBL als Scheingeschäft eingestuft.

STANDARD: Warum?

Roberts: Weil es um Wetten auf die Kreditwürdigkeit bestimmter Banken und Referenzunternehmen geht. Das sind deshalb Wetten, weil es überhaupt nicht um einen Schaden geht, sondern es geht nur darum: Was passiert mit dem Credit-Rating dieser Banken?

STANDARD: Wie muss man sich das vorstellen?

Roberts: Inhalt der so genannten Cross-Border-Leases ist nicht eine Absicherung vor einem potenziellen Schaden im Wasserspeicher oder bei Eisenbahnwaggons, die sind als Staatseigentum ohnehin abgesichert. Es handelt sich vielmehr um typische Kreditspekulationen, also Credit Default Swaps, diese CDS, die so viel Schaden angerichtet haben. Dabei wettet die eine Seite, dass GM oder wer auch immer in seiner Kreditwürdigkeit abrutscht und die andere Seite wettet, dass das nicht der Fall. Und die eine Seite, die wettet, dass das Unternehmen untergeht, zahlt eine Prämie an die andere, wenn das Credit-Rating tatsächlich sinkt.

STANDARD: Und wie kommen die Kommunen in dieses Spiel? Es ging doch um grenzüberschreitende Leasing-Deals, bei denen Steuervorteile genutzt wurden.

Roberts: Ich bin nach dem Studium der Verträge nicht der Auffassung, dass es sich hier um klassische Leasinggeschäfte handelt. Es geht vor allem um den Handel von Kreditrisiken. Die Vertragspartner einigten sich darauf, die Risiken künftiger Zahlungsströme untereinander aufzuteilen. Das Ausfallrisiko trägt in voller Höhe die Kommune. Dafür erhält sie eine Prämie, den so genannten Barwertvorteil.

STANDARD: Das heißt, die Leasingnehmer, also die Kommunen, zahlen im Rahmen der CBL nicht für die Absicherung ihrer verkauften und auf 25 oder 30 Jahre zürückgeleasten Güter und Anlagen, sondern für die Kreditwürdigkeit unbeteiligter Dritter?

Roberts: Das ist der Punkt. Es galt bei Abschluss der CBL als ziemlich unwahrscheinlich, dass diese Credit-Events, also die Risiken um die es geht, eintreffen. Es war sehr, sehr unwahrscheinlich, dass das mit Triple-A geratete Finanzunternehmen AIG pleite geht. Daher konnten die Akteure in der Finanzindustrie die Wetten auf das Risiko einer AIG-Pleite sehr billig einkaufen und am Finanzmarkt handeln. Aber: AIG war aber schon vor zehn Jahren stark involviert in strukturierte Finanzprodukte und Insider wussten, dass AIG irgendwann den Bach runter gehen könnte. Das machte Wetten auf AIG besonders interessant. Und wir wissen, dass Krisen regelmäßig kommen.

STANDARD: Der unwahrscheinliche Fall trat tatsächlich ein, American International Group (AIG) musste im September durch den US-Staat gerettet werden. Bei vielen CBL ist AIG Depotbank für die Leasing-Raten oder Gläubiger. Was heißt das für Stadtwerke, Bahn oder Energieversorger?

Roberts: Dass sie zahlen müssen, weil sie laut Vertrag weitere Garantien und Besicherungen beibringen müssen. Das Absichern wird aber immer teurer, je schlechter die Bonität ist.
Das Problem dahinter ist, dass keine Versicherung abgeschlossen wurde, sondern eine Wette. Bei beiden zahle ich eine Prämie, bei der Versicherung ist das Risiko aber begrenzt, weil nur gezahlt wird, wenn ich einen Verlust erleide oder mein Haus abbrennt. Bei der Wette gewinne oder verliere ich hohe Summen, egal ob das gut für mich ist oder schlecht. Die Cross-Borders sind genau solche Risikogeschäfte.

STANDARD: US-Gerichte haben CBL den Steuervorteil aberkannt. Warum?

Roberts: Weil das angebliche Grundgeschäft, also das Lease-in-Lease-out, in Wirklichkeit ein Karussel ist, wo dieselben Banken aus der einen Tasche Geld herausnehmen und in die andere Tasche einstecken. Es wird ja kein unternehmerisches Risiko eingegangen, das mit einem Steuervorteil belohnt wird. Die Banken haben kein Risiko, weil die behalten das Geld. Die Investoren riskieren nichts, weil die Bank als Darlehensgeberin vertragsgemäß keinen Rückgriff auf die Investoren hat. Und weil die Investoren nichts riskieren, bekommen sie auch keine Steuervorteile.

STANDARD: Und wer zahlt drauf?

Roberts: Die Kommunen. Denn der von ihnen lukrierte so genannte Barwertvorteil, den ihnen die Investoren zahlen, ist relativ gering, er beträgt ein paar Prozent des Gesamtkapitals. Das eigentliche, lukrative Geschäft ist das dazugehörige Gegengeschäft: Die Investoren erhalten für einen relativ kleinen Betrag die Möglichkeit, in großem Stil abzukassieren. Denn die Kommunen und Verkehrsbetriebe müssen bei Eintreten bestimmter Credit-Events den am Anfang vereinbarten Gesamtbetrag zahlen.

STANDARD: Auf einmal?

Roberts: Nicht unbedingt. Vereinfacht ausgedrückt, funktioniert das eigentliche Geschäft so: Der Gesamtkapitalbetrag beträgt 400 Millionen Euro, der wird vertraglich um 30 bis 50 Prozent aufgestockt und die Gesamtsumme in so genannte Termination Values aufgeteilt, die Monat für Monat über die gesamte Laufzeit zu zahlen sind. Passiert in einem Monat ein Credit-Event, wird die gesamte Summe fällig. Diesen Totalausfall kann die Kommune oder der Verkehrsbetrieb nur abwenden, indem neue Sicherheiten beigebracht werden.

STANDARD: Aber diese Bankgarantien kosten laut einem betroffenen Verkehrsbetrieb nur einstellige Millionenbeträge, sind also kein Beinbruch.

Roberts: Sie können aber auch sehr, sehr teuer werden. Denn es geht um eine Wette, nicht um eine Versicherung. Das Absichern von AIG-Verbindlichkeiten ist durch die Finanzkrise extrem teuer. Im September 2008 waren dafür 50 Prozent des Nominalwerts in bar notwendig und danach 20 bis 25 Prozent pro Jahr. Wuppertal hätte um 75 Millionen Euro Credit Default Swaps kaufen müssen, damit das Spiel weiter geht. Zu sagen, ich bin ein Staatsbetrieb, ich gehe nicht Pleite, genügt den Investoren nicht. Die freuen sich über weitere Sicherheiten, denn die liegen ja dann bei den Investoren. Es geht nicht um Verbindlichkeiten der Kommune, die Kommune muss AIG-Verbindlichkeiten absichern!

STANDARD: Können die Verkehrsbetriebe und Stromversorger aus diesem Teufelskreis raus?

Roberts: Ich würde sagen, Ja. Denn es liegt meiner Meinung nach eine grobe Täuschung vor, weil es nicht um Sale-and-Lease-back geht, sondern um hochriskante Kreditspekulationen. Das ist eine Mogelpackung und ein Anfechtungsgrund. Sofern es dafür nicht zu spät ist, weil der Abschluss zu lang zurückliegt. Im Übrigen sind Kreditwetten für Kommunen verboten.

STANDARD: Haben die Gemeinden überhaupt kapiert, auf welchem Pulverfass sie sitzen? Die meisten halten ihre Verträge in Bratislava versteckt, damit sie der Rechnungshof nicht prüfen kann und beteuern, alles sei kein Problem.

Roberts: Tatsächlich? Das ist ja lächerlich. Niemand kann einem Vertragspartner verbieten, sich mit Vertrauensleuten zu beraten. Den Entscheidungsträgern ist die ganze Sache sicher peinlich, sie wollen nicht eingestehen, dass sie sich nicht auskennen. Das haben die Banken schamlos ausgenutzt.

STANDARD: Wäre es ein Ausweg, die Zahlungen einfach einzustellen?

Roberts: Natürlich sollten sie nicht zahlen, sondern warten, bis sie verklagt werden. Oder eine Feststellungsklage einbringen, dass der Vertrag nichtig ist. Das Kanalnetz oder ein Bahnhof interessiert die Investoren ohnehin nicht, die gehören ja Kommunen oder Staatsbetrieben. Die Investoren interessieren nur diese laufenden Zahlungen. Außerdem war der Barwertvorteil für die Kommunen viel zu niedrig bepreist, weil ihm ein riesiger Aufpreis zugunsten der Bank gegenüber steht.  (DER STANDARD, Printausgabe, 23.2.2009)