Die Treffen dienen auch zu Networking.

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Im Saal gibt es sechs Glaskobeln, in denen Dolmetscher simultan ihrer Arbeit nachgehen: Französisch, Russisch, Deutsch, Englisch, Spanisch und Italienisch.

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Schlachtfeld Buffet: Nach anstrengenden Debatten drängt alle Welt zum Catering-Bereich.

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Joao Soares atmet tief durch. "Das ist der demokratischste Platz hier", sagt der untersetzte Mann, durchwühlt die Taschen seines dunkelblauen Sakkos, findet ein Feuerzeug und steckt sich eine Zigarette an. Er muss es wissen. Schließlich ist der 59-Jährige der Chef hier. Die übrigen fünf Herren, die sich rund um die zwei Stehpulte des Raucherecks drängen, nicken und pusten wie im Akkord blaue Wolken in die Luft . Soares ist Präsident des Parlamentary Assembly (PA) der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. In der Wiener Hofburg ging dieser Tage ihr jährliches Wintertreffen über die Bühne. Kaffee war genügend da.

270 Menschen aus 56 Staaten gehören dem OSZE-PA an, allesamt Abgeordnete ihrer jeweiligen Parlamente. Von Washington über Paris bis nach Almaty in Kasachstan, das nach Griechenland im kommenden Jahr den Vorsitz der OSZE inne hat. Während die Mutterorganisation hehre Ziele wie Konfliktvermeidung, Abrüstung und Völkerverständigung verfolgen, geht es dem PA vor allem um den Dialog zwischen den Parlamenten der Mitgliedsstaaten sowie um Wahlbeobachtung. Die zwei Treffen, die jedes Jahr stattfinden, dienen auch dem persönlichen Austausch unter den Abgeordneten.

Sicherheitsarchitektur

Es geht um die europäische Sicherheitsarchitektur, wie das Programm kryptisch verrät. Vor allem die Initiativen von Russlands Präsident Dmitri Medwedew und des französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy stehen im Mittelpunkt der Debatte. Der Streit um die NATO-Erweiterungen und die US-Raketenabwehrpläne soll nach Auffassung Medwedews durch eine neue, gesamteuropäische Verteidigungsdoktrin gelöst werden.

"Ich warte jetzt schon seit zwanzig Minuten darauf, endlich an den Computer zu können", ärgert sich Irina. Der ist aber von einem älteren Herrn besetzt, der sich in aller Ruhe durch Blogs, YouTube und Mailprogramme surft. Die blonde Ukrainerin, die als Übersetzerin schon zum siebten Mal die zehnköpfige Delegation ihres Landes auf internationale OSZE-Treffen begleitet, weiß Bescheid über die Usancen und Gepflogenheiten bei derlei Meetings. "Das Meiste bereden die Delegationen auf den Gängen, beim Kaffeetrinken." Tatsächlich lässt sich von Außen nur schwer erkennen, wann Kaffeepause angesagt ist - und wann nicht.

Damit man während des Networkens auch etwas von den Vorgängen im Sitzungssaal mitbekommt, hängen, wohl verteilt über den Raum, mehrere große Flachbildschirme an den Wänden. Dinge von wirklicher Bedeutung, soviel wird schnell klar, finden aber ohnehin nicht im großen Sitzungssaal statt. Wenn überhaupt.

Timing

Im Saal gibt es sechs Glaskobeln, in denen Dolmetscher simultan ihrer Arbeit nachgehen: Französisch, Russisch, Deutsch, Englisch, Spanisch und Italienisch. Leinwände zeigen an, wie viel Zeit jedem Sprecher noch zur Verfügung steht. Der marokkanische Vertreter bringt das Kunststück fertig, seine Redezeit bis auf fünf Sekunden genau auszunutzen. Seine Nachbarin, eine Israelin, tippt derweil einen Text in ihren Laptop. Die Stühle zu ihrer linken sind leer, auf dem Schild, das die Delegationen ausweist, steht "Algeria". Auch der österreichische Nationalrat ist entsprechend hochrangig vertreten. Die SPÖ schickte Anton Heinzl, Wolfgang Großruck vertritt die ÖVP, Gerhard Kurzmann die FPÖ, Robert Logar repräsentiert das BZÖ und Karl Öllinger die Grünen.

Wenn die Delegationen etwas zu sagen haben, berufen sie Pressekonferenzen ein. Gerne auch während des laufenen Tagungsprogramms. Alexander Gruschko zum Beispiel, seines Zeichens Vizeaußenminister der Russischen Föderation, hält sich trotz zwanzig Minuten Verspätung nicht lange auf und kommt im unscheinbaren, mit großflächiger "Street-Art" geschmückten Raum 201 zur Sache: "Wir haben nicht viel Zeit, lassen Sie uns gleich mit Ihren Fragen beginnen." Es geht um die NATO, um Afghanistan und um die "Tragödie" von Südossetien, wie der Russe den kurzen Krieg am Kaukasus vergangenen Sommer nennt. Der Ton ist verbindlich, ab und zu wird gescherzt. "Breaking News waren das nicht gerade", sagt Andrey, ein Journalist aus Kasachstan, der extra für das OSZE-PA-Treffen nach Wien gereist ist.

Geigen

Es ist Mittag, Zeit für Kasachstan, das 2010 turnusmäßig den Vorsitz der OSZE übernimmt und das Wiener Treffen nutzt, sich den übrigen Delegationen vorzustellen. "Sie bemühen sich sehr, es wird schon klappen", lautet der Tenor, den man auf den Gängen der Hofburg und im Rauchereck vernimmt, wenn die Sprache auf die künftigen Vorsitzenden kommt. Und weil man auch im fernen Kasachstan weiß, wie man Eindruck schindet, lässt sich das Land nicht lumpen und lädt zum Mittagsbuffet im Redoutensaal ein: Pilzragout, gebackene Hühnerbeine, Fischpfanne, danach Apfelstrudel und zweierlei Mousse au Chocolat. Dass auf der Bühne, keine fünfzehn Meter vom Buffet entfernt, eine kasachische Geigerin gegen das Geklirre und Geklapper ankämpft, stört niemanden. Man merkt, dass die Tagungsteilnehmer, Diplomaten und Reporter einen harten Vormittag hinter sich haben, Ellenbogen werden ausgefahren, Schnitzel mit Dessertgabeln von der Buffetplatte gezerrt. Der Geist der Diplomatie, am Buffet in der Wiener Hofburg ist er dem Stellungskampf gewichen. (flon/ derStandard.at, 20.2.2009)