Der konfessionelle Religionsunterricht ist in der Krise. Das gilt speziell für den islamischen, dessen Legitimität auch intern äußerst umstritten ist: Ob er sich nun an den theologischen Vorgaben der Kairiner al-Azhar-Universität oder an jenen des türkischen Religionsamtes orientiert: er berücksichtigt nicht die auch im Islam vor sich gehende Reformdiskussion, und schon gar nicht die Muslime der nicht-sunnitischen Richtungen. Aber auch im katholischen Bereich gibt es keine klare Ausrichtung - da gibt es Fundamentalisten und aufgeklärte Liberale, engstirnige Dogmatiker und diskussionsfreudige Freigeister.

Gemäß Schulvertrag mit dem Vatikan aus dem Jahr 1962 bzw. 1971 hat der Religionsunterricht für katholische Schülerinnen und Schüler ein Pflichtgegenstand zu sein, von dem man sich abmelden kann. Für die Bestellung der Lehrerkräfte, für die Inhalte des Unterrichts, für Lehrbücher und Lehrplan ist die Kirche zuständig. Einzige Einschränkung: Lehrbücher und Lehrmittel dürfen nicht im Widerspruch zur staatsbürgerlichen Erziehung stehen. Bezahlt werden die von den Religionsgemeinschaften bestellten Lehrkräfte vom Staat. Für die anderen Religionsgemeinschaften gelten sinngemäße Regelungen.

Befürworter des jetzigen Zustands meinen, der konfessionelle Unterricht in der Schule verhindere ein Abwandern der religiösen Erziehung in die Hinterhöfe von Moscheen und Sektenkirchen. Genau das aber leistet die jetzige Regelung nicht: Gerade fundamentalistisch eingestellte Eltern melden ihre Kinder nicht selten vom Religionsunterricht ab. Im islamischen Bereich finden Unterweisungen dann (oft zusätzlich zum RU) in islamischen Kulturvereinen statt. Wer weiß denn, welche Inhalte dort Kindern und Jugendlichen vermittelt werden? Organisationen wie die reaktionäre Pius-Bruderschaft oder das fundamentalistische Opus Dei wiederum sehen die Arbeit in Schulen als eine ihrer Hauptaufgaben. Sie sind zunehmend erfolgreich und nehmen in der kirchlichen Hierarchie immer wichtigere Positionen ein, bis hin zu Bischöfen. Wollen wir wirklich, dass Lehrkräfte aus diesen Kreisen unseren Kindern Werte und ethischen Grundhaltungen vermitteln?

Schon jetzt haben wir das Problem, dass im Religionsunterricht nicht einmal die volle Breite von Bekenntnissen innerhalb der eigenen Religion berücksichtigt wird. Wo finden etwa im islamischen Unterricht die zahlreichen bei uns lebenden Aleviten Berücksichtigung, wo im katholischen die Anhänger jener anderen, nicht-katholischen 50 Prozent des Christentums? Und was ist mit den Kindern ohne Bekenntnis, oder mit jenen aus den Familien der fast 50 Prozent unserer Taufschein-Katholiken, die laut einer IMAS-Umfrage nicht an Gott glauben?

Angesichts ihrer Pluralität werden Auseinander­setzungen um allgemein verbindliche Grundwerte immer wichtiger. Deshalb ist eine fundierte Beschäftigung mit den Grundlagen unserer Kultur - speziell auch der diversen Religionen - unerlässlich. Wäre es da in einer demokratischen Gesellschaft nicht sinnvoll, wenn sich alle Kinder gemeinsam und unter sachkundiger Anleitung möglichst vorurteilsfrei damit auseinandersetzen? Wir brauchen also statt des jetzigen konfessionellen Religionsunterrichts einen "Allgemeinen Ethik- und Religionen-Unterricht".

Daneben kann der konfessionelle Religionsunterricht als Freifach durchaus an den Schulen belassen werden. In Österreich sind derzeit 13 Kirchen und Religionsgesellschaften gesetzlich anerkannt und haben somit das Recht auf staatlich finanzierten Religionsunterricht. Die Anerkennung der Zeugen Jehovas steht unmittelbar bevor. Laut ihrer offiziellen Website verbietet ihnen der Glaube zu rauchen. Wenn sie das in ihrem Unterricht vermitteln, bekommt der Staat über den Umweg der dadurch sinkenden Gesundheitskosten zumindest ein bisschen etwas für seine Großzügigkeit zurück! (Harald Walser, DER STANDARD, Printausgabe, 20.2.2009)