Bild nicht mehr verfügbar.

Anti-Lissabon-Aktivist in Prag: Die Zerrissenheit der großen Regierungs-partei ODS in der Frage des EU-Reformvertrags spiegelt sich auch in der Bevölkerung wider.

Foto: APA/EPA/Singer

Der Reformvertrag von Lissabon hat im EU-Vorsitzland Tschechien die erste parlamentarische Hürde genommen. Die endgültige Ratifizierung bleibt wegen der Widerstände in Premier Topoláneks Partei ungewiss.

*****

Das Prager Abgeordnetenhaus hat am Mittwoch mit 125 zu 61 Stimmen den Lissabon-Vertrag verabschiedet. Die parlamentarische Behandlung des Textes dauerte fast ein Jahr, wobei der Ratifizierungsprozess ein halbes Jahr lang unterbrochen war, weil das tschechische Verfassungsgericht die Verfassungskonformität des Vertrags prüfte.

Gleichzeitig nahmen die Abgeordneten auch eine Resolution an, in der festgehalten wurde, dass der Vertrag nicht die sogenannten Beneš-Dekrete infrage stellen könne, die nach 1945 zur Grundlage für die Enteignung von Sudetendeutschen und Ungarn wurden. Tschechische Europaskeptiker begründeten ihren Widerstand gegen den Vertrag immer wieder mit der Behauptung, wonach die darin enthaltene Grundrechte-Charta möglichen Entschädigungsforderungen der Vertriebenen Tür und Tor öffnen könnte.

Nach der Zustimmung des Abgeordnetenhauses muss der Vertrag noch zwei weitere Hürden nehmen: im Senat und beim Präsidenten. Auch in der zweiten Parlamentskammer wird das Verhalten der Mandatare der stärksten Regierungspartei, der rechtsliberalen Bürgerdemokraten (ODS), entscheidend sein. Die ODS-Senatoren gelten dabei als wesentlich kritischer gegenüber dem Vertragstext. Einige erwägen neue Klagen vor dem Höchstgericht, um das Inkrafttreten zu verhindern.

Tschechiens EU-kritischer Präsident Václav Klaus hat dagegen mehrfach erklärt, das Dokument nicht scheitern zu lassen, sollten es die Iren in einer zweiten Volksabstimmung gutheißen.

Die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag könnte bei der ODS zu Abspaltungstendenzen führen. In der gegenwärtigen ODS-Fraktion gelten bis zu drei Abgeordnete als "Wackelkandidaten" , die aus Protest gegen den Vertrag Partei und Fraktion verlassen könnten. Damit wäre die Regierung von Premier Mirek Topolánek, die schon jetzt keine eigene Mehrheit im Abgeordnetenhaus hat, zusätzlich geschwächt.

Neue EU-kritische Partei

Zur neuen politischen Heimat der abtrünnigen ODS-Mandatare könnte die erst am vergangenen Wochenende ins Leben gerufene EU-kritische "Partei der Freien Bürger" werden, deren Gründer aus dem Umfeld der rechtsliberalen Bürgerdemokraten stammen. Die neue Partei kann auf prominente Unterstützer hoffen. Mit von der Partie sind etwa die beiden Söhne von Václav Klaus, wobei der jüngere - Jan - es auf Anhieb in den Vorstand schaffte. Der Präsident selber, der formal immer noch ODS-Mitglied ist, schickte eine Grußadresse an die Delegierten.

Vorsichtigen Schätzungen zufolge können die "Freien" bei den Europawahlen im Juni mit bis zu 20 Prozent rechnen, wobei die meisten Wähler von der ODS kämen. In diesem Fall würden die Rufe nach einem Rücktritt Topoláneks wieder lauter werden. In Prag kursieren bereits seit längerem Gerüchte, dass Topolánek nach dem Ende des tschechischen EU-Ratsvorsitzes auf den Posten eines EU-Kommissars weggelobt werden könnte.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nannte das Prager Votum vom Mittwoch "ein wichtiges Signal des Einsatzes des Parlaments für Europa zu einer Zeit, in der die tschechische Präsidentschaft mit Hingabe und Kompetenz arbeitet, um die Europäische Union zu führen". (Robert Schuster aus Prag/DER STANDARD, Printausgabe, 19.2.2009)