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Niedrig dosierte Antibiotika haben die Ausbreitung der Resistenzen nachhaltig geschürt

Foto: dpa/Frank May

Ein guter Ruf kann ein Fluch sein. Kaum war Penicillin in den Vierzigerjahren in größerer Menge verfügbar, wurde es auch schon gegen alle möglichen Krankheiten verabreicht, denen es gar nicht beikommen konnte. Die als Wundermittel gepriesenen Antibiotika heilten auch nicht alle Leiden, die innerhalb ihres Wirkungsspektrums lagen. Als junger Arzt behandelte Jacques Acar 1954 in Paris einen 20-jährigen Deutschen, der von Tag zu Tag schlimmere Infekte entwickelte. Die Handvoll verfügbarer Antibiotika versagte eins nach dem anderen. Sein junger Patient starb ihm unter den Händen weg.

Milliarden von Keime in uns

Die Resistenz gegen Antibiotika wurde Acars Lebensthema. "Damals dachten wir, dass wir nur auf wirksamere Antibiotika warten müssten, um auch die hartnäckigsten Pathogene in den Griff zu kriegen", erinnert sich der Franzose. Mitte der Sechzigerjahre kam die Einsicht, dass alles viel komplexer ist: dass wir ständig von Bakterien umgeben sind, Milliarden von ihnen in uns herumtragen, ja ohne sie kaum lebensfähig wären. "In den späten Siebzigern sahen wir die Wirksamkeit der Antibiotika rapide zurückgehen", setzt Acar fort. Wieder hielt sich der Schock in Grenzen, drängten doch damals jede Menge neue Präparate auf den Markt.

Klügerer Umgang mit Antibiotika gefordert

Heute sind die Pipelines der Pharmaindustrie nahezu leer. Antibiotika gelten als schlechtes Geschäft, werde ein neues, teures Mittel doch erst aus dem Regal geholt, wenn alle billigen versagt hätten. Acar sieht darin auch eine Chance: "Wir leben in einer besonderen Zeit. Alle Antibiotika gibt es heute als Generika, sie sind damit so verfügbar wie noch nie. Investieren wir jetzt in die Kontrolle!" Trotz niedriger Preise wimmelt es in Entwicklungsländern von falsch ausgewiesenen, falsch dosierten und komplett gefälschten Pillen. In den reichen Ländern fordert Acar einen klügeren Umgang mit Antibiotika.

In Krankhäusern werden Keime resistenter

Nach Angaben des Europäischen Zentrums für ansteckende Krankheiten in Stockholm werden Jahr für Jahr etwa drei Millionen EU-Bürger von resistenten Bakterien niedergezwungen. 50.000 von ihnen sterben daran. Überwiegend handelt es sich um im Krankenhaus eingefangene Infekte. Gerade wo viele Antibiotika eingesetzt werden, entwickeln die Erreger die größte Widerstandsfähigkeit.

Auch in Ordinationen werden Antibiotika zu leichtfertig verschrieben. Das gilt vor allem in den Mittelmeerländern, Japan, Südkorea und den USA. Studien zeigen, dass Patienten, die ein Antibiotikum erwarten, es in drei von vier Fällen bekommen. Die Wahrscheinlichkeit ist sogar noch höher, wenn der Arzt annimmt, dass der Patient ein Antibiotikum erwartet. "Für den Arzt ist es am wirtschaftlichsten", erklärt der Epidemiologe und Ökonom Ramanan Laxmaranyan: "Er hat weniger zu erklären, als wenn er es nicht verschreibt. Und er läuft kein Risiko, verklagt zu werden."

Der Dauerbrenner

Auf Konferenzen über Infektionskrankheiten, von denen eine der wichtigsten, die IMED (International Meeting on Emerging Diseases and Surveillance) am Montag in Wien zu Ende ging, ist Antibiotikaresistenz ein Dauerbrenner. Seit einigen Jahren hat auch die Gesundheitspolitik das Thema erkannt. Stand zunächst im Vordergrund, das Ausmaß des Problems zu beschreiben, wird immer deutlicher, dass keine einfachen Lösungen zu haben sind. Die Anreize, die das Gesundheitssystem setzt, stehen laut Laxmaranyan (siehe Interview) einem angemessenen Einsatz von Antibiotika vielfach im Weg. Es gibt aber durchaus positive Vorbilder. So wurde in den Niederlanden eine vormals hohe Rate an Krankenhausinfektionen durch gezielte Maßnahmen etwa um den Faktor hundert reduziert. Auch in der Nutztierhaltung gibt es Fortschritte. In der EU ist es seit 2006 nicht mehr erlaubt, Antibiotika zur Wachstumsförderung zuzufüttern. In Dänemark, wo das Verbot schon 1997 eingeführt wurde, steigt die sogenannte therapeutische Nutzung allerdings kontinuierlich an, sodass die eingesetzte Antibiotikamenge schon wieder das Niveau der frühen Neunzigerjahre erreicht hat. Erkrankt ein Tier, wird in der Regel der ganze Stall behandelt.

Zu niedrig dosiert

"Wir reden immer noch zu viel über resistente Bakterien und zu wenig über Infektionskontrolle", klagt die Mikrobiologin Paula Fedorka-Cray vom Forschungszentrum des US-Landwirtschaftsministeriums. Dabei hat die Tiermedizin eine wichtige Botschaft an die Humanmedizin, findet Jacques Acar. Niedrig dosierte Antibiotika haben die Ausbreitung von Resistenzen nachhaltig geschürt. Tiere mit Infektionen sprechen aber gut auf hoch dosierte, kurze Behandlungen an, die mit einem erheblich geringeren Resistenzrisiko einhergehen. Das stimmt auch beim Menschen, ist der französische Arzt und Mikrobiologe überzeugt. Die goldene Regel, derzufolge ein Antibiotikum mindestens eine Woche genommen werden muss, könnte für viele Behandlungen bald nicht mehr gelten.

Allerdings müssten die Patienten dann genauer und öfter untersucht werden. Außerdem gebe es noch zu wenige klinischen Studien höher dosierter und dafür kürzerer Therapien, räumt Acar ein. Freilich haben die Hersteller wenig Interesse an solcher Evidenz. Die sozial erwünschte Nebenwirkung, dass es weniger resistente Erreger gibt, sorgt dafür, dass weniger Medikamente probiert werden. Und bevor eine Pharmafirma absichert, dass weniger ihres Produkts besser wirkt, muss sie ohnehin über ihren eigenen Schatten springen. (Stefan Löffler, DER STANDARD Printausgabe, 18.2.2009)