Tatort "Familienaufstellung": Alles deutet zunächst auf den "klassischen Eifersuchtstäter", den Ehemann des Opfers, hin.

Foto: ORF/Tatort Familienaufstellung

Kommissarin Inga Lürsen hat mit der nicht kooperationswilligen Mutter des Mordopfers zu kämpfen.

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Kriminalistische Einvernahme im Hamam: Die Ermittlungen ermöglichen freien Blick auf bisher bedeckte Frauenkörper.

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Endlich mal wieder ein guter "Tatort" am 8. Februar. Ein spannender Plot - selbst ich als Tatort-Junkie wusste nicht von vorne herein, wer der Täter oder die Täterin ist -, interessante Dialoge und gut gezeichnete Charaktere. Das war nach einer bereits länger andauernden "Tatort"-Flaute, nach einer Reihe schwächelnder Drehbücher, die zu offensichtlich Gut versus Böse zeichneten, eine Erleichterung. Und auch die lästige Kommissars-Tochter, die mittlerweile so vielen Kommissaren und Kommissarinnen als Spur früherer Beziehungen an die Seite gestellt wird, wurde diesmal durch ein Hündchen repräsentiert, das zu allerlei witzigen Sequenzen Anlass gab. Kein Wunder, war doch eine Profi-Frau am Werk, die deutsche Krimi-Autorin Thea Dorn. Und doch beschleicht mein "Tatort"-Alter Ego ein mulmiges Gefühl nach dem gestrigen Fernsehabend.

"Tatort" als moralisch-politische Institution

Der "Tatort" entwickelte ich in den letzten 30 Jahren zu einer moralisch-politischen Institution des deutschsprachigen Fernsehens. Auch in Österreich ist diese gesellschaftspolitische Stimme mittlerweile in die prime time des Sonntag abends aufgerückt - vermutlich, weil auch hier zu Lande die erzieherische Wirkung des "Tatort"-Formats erkannt und für notwendig erachtet wurde (vielleicht auch nur, weil die Quote stimmt). Die Idee des "Tatorts" - nicht von Anfang an, aber seit nunmehr gut 20 Jahren - ist es, gesellschaftliche Problemfelder im Unterhaltungs- mitunter auch im Spannungsformat zu bearbeiten. Die "Tatorte" diskutieren aktuelle Konflikte, zeigen die Abgründe der bundesdeutschen, mitunter auch der österreichischen Gesellschaft, vor allem aber auch der Staatsvertreter in Form von Polizei, Justiz und Behörden auf. Die Kommissare und Kommissarinnen sollen das staatliche Gewaltmonopol vertreten und Recht durchsetzen. Deshalb stehen sie alleine, d.h. beziehungs- und familienlos sowie zwischen staatlichen Vorgaben und ihrem Gewissen. Und wenn Recht und Gerechtigkeit am Ende manches Mal nicht deckungsgleich sind, dann stehen die Kommissare und Kommissarinnen - darauf kann man im "Tatort" zählen - auf der Seite der Gerechtigkeit. Kurzum: Sie sind eine Projektionsfläche für das richtige, für moralisch gutes Verhalten in der deutschen Gesellschaft.

Modellhafte Auswege

In Konfliktsituationen - und nichts anderes sind die Kapitalverbrechen der "Tatorte" - bietet also das Format fast jeden Sonntag modellhafte Auswege, macht Lösungsvorschläge und vor allem: klärt auf. Dass die Mörder und Mörderinnen überführt werden, ist das eine, durchaus notwendige für ein Sonntagabendformat, dass aber darüber hinaus auch das Gute sichtbar und das Schlechte plastisch herausgearbeitet wird, ist der mitgelieferte Subtext. Geldgierige Pharmafritzen werden dingfest gemacht, korrupte Beamte werden entlarvt, ausbeuterische Billig-Discounter werden disqualifiziert, Nazis und Rechtsradikale erhalten gesellschaftliche Platzverweise, und familiäre Gewalttaten gegen Frauen werden nicht als Kavaliersdelikte gezeichnet.

Nicht erst seit einiger Zeit - doch seit einem Jahr etwa verstärkt - reflektiert der "Tatort", dass Deutschland und Österreich Einwanderungsgesellschaften sind. Die Krimis thematisieren Konflikte in multikulturellen Gesellschaften, die Probleme des Zusammenlebens verschiedener ethnischer Gruppierungen im Prozess der Migration. Dass es diese Probleme gibt, dass sie vor allem intensiv in den Medien, aber freilich auch in der Politik, in Schulen und in Nachbarschaften diskutiert und teilweise nicht immer friedfertig ausgetragen werden, ist gewiss. Also muss man es geradezu als Pflicht des "Tatorts" als moralisch-politische Instanz sehen, hier Position zu beziehen. Und das tat die Sonntagsserie mit einer ganzen Reihe von Plots, die insbesondere die Integration oder die fehlende Integration der türkischen Communities in Deutschland und Österreich aufgriff. Und auch hier muss man sagen: Der "Tatort" und die DrehbuchautorInnen taten dies vergleichsweise sensibel und umsichtig - wenn man von der umstrittenen Folge über sexuellen Mißbrauch in einer alevitischen Familie unter dem Titel "Wem Ehre gebührt" absieht.

"Indirekte Notwehr"

Es sind selten "die" Ausländer, die den Mord begehen, und dass in der Folge vom vergangenen Sonntag das weibliche Opfer des patriarchalen Familienclans die Mörderin war, war gut und nachvollziehbar hergeleitet, eine Mischung aus Befreiung von Unterdrückung und Ausweglosigkeit, gleichsam indirekte Notwehr. Vielmehr zeigen die Folgen wie "Der Baum der Erlösung", der den Konflikt um den Moscheebau in Telfs als Aufhänger nahm, oder eben "Familienaustellung", dass die Spannungen und Konflikte in der multikulturellen Gesellschaft nicht von den Migranten und Migrantinnen (alleine) ausgehen, sondern dass es die Mehrheitsgesellschaft ist, die das Zusammenleben nicht einfach macht, die Vorurteile pflegt, Stereotype hegt und die Menschen, die sie nicht im Land haben will, eigentlich gar nicht kennt und kennen will. Kurzum: Eigentlich will der "Tatort" Verständnis und ein gutes Zusammenleben zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Minoritäten schaffen, will er aufklären über migrantisches Leben und deutlich machen, dass alle doch gar nicht so unterschiedlich sind, will vielmehr auf Gemeinsamkeiten und nicht auf die Unterschiede der Kulturen aufmerksam machen. Der "Tatort" ist auf der Seite der "Guten", kritisiert Vorurteile - ganz so wie der "Tatort" aus der österreichischen Vorurteilsprovinz Telfs.

Und doch sind die "Tatorte" zumindest ambivalent, tragen sie in ihrem aufklärerisch-engagierten Impetus zur Stereotypisierung bei: Allein die Tatsache, dass sich vier Folgen im vergangenen Jahr mit so genannter "kultur- oder traditionsbedingter Gewalt gegen Frauen" beschäftigten, ist bemerkenswert. In allen vier Folgen standen junge türkische Frauen im Zentrum des Konfliktes - Frauen, die in der einen oder anderen Weise mit dem Lebensstil, mit der "Kultur" ihrer Herkunftsfamilie nicht zurecht kommen, die ausbrechen wollen, oder schon längst ausgebrochen sind, weil sie einen deutschen Freund haben oder - wie in der Folge vom 8. Februar - nicht den von der Familie ausgesuchten Ehemann lieben. Zwangsverheiratung und Ehrenmord, assoziiert da der Mehrheitsdeutsche und die Mehrheitsösterreicherin, patriarchale Kultur, die in den Parallelgesellschaften herrscht, Gewalttätigkeit, Unterdrückung und autoritäres Verhalten in türkischen Gemeinschaften. Und um genau diese Themen drehten sich die Krimis so, als ob dies die einzigen wichtigen Themen in der multikulturellen Gesellschaft sind, so, als ob Gewalt vornehmlich in türkischen Milieus vorkommt. Ich erinnere im selben Zeitraum nur einen "Tatort", der Gewalt gegen Frauen in einer Familie der Mehrheitsgesellschaft zum Thema hatte.

Trotz Reichtum "vormodern"

Die Frauen - so auch im letzten "Tatort" - erleben Gewalt und Bevormundung, sie werden in ihrer Autonomie beschnitten, werden zum Kopftuchtragen gezwungen - in "Wem Ehre gebührt" durch indirekten Zwang, nämlich als Folge des sexuellen Missbrauchs in der Familie, also als Gegenwehr gegen die patriarchalen Zustände in der Parallelgesellschaft. Auch der letzte "Tatort" spielt auf der Klaviatur dieser Vorurteile und Stereotypisierungen, selbst dann, wenn die üblichen Einwände gegen eine Kulturalisierung von minorisierten Gruppen (die auch ich erhebe) schon den KommissarInnen in den Mund gelegt werden: Nicht die Kultur ist an allem Schuld, auch nicht die türkische, sagt der Kommissar, Eifersucht als Tatmotiv ist im deutschen Milieu normal und wird nicht unter Kultur und Ehre subsumiert. Deshalb hätte die Kommissarin auch so gerne einen klassischen Eifersuchtstäter. Auch wenn die letzte Folge mit den Klischees spielerisch umgeht und versucht, viele der Vorurteile subtil ad absurdum zu führen, so bleibt doch ein schaler Nachgeschmack: Trotz aller Modernisierung - sprich Ökonomisierung und Reichtum - türkischer Milieus, bleiben "sie" religiös, patriarchal und vormodern, achten "sie" die Ehre der Familie, sprich die der Macho-Männer mehr als die Rechte ihrer Töchter. Da wird in verlogener Weise der Jungfräulichkeit gehuldigt (und sie wird nötigenfalls ex post wieder hergestellt), da haben die Mütter ein falsches Bewusstsein und sind keine Hilfe für ihre Töchter, sondern schlagen sich auf die Männerseite.

Ästhetisierung der Opfer

Die "Tatorte" laufen also Gefahr, das zu reproduzieren, was sie vorgeben, überwinden zu wollen: Vorurteile gegenüber einer als "anders" konstruierten Kultur bzw. Gruppe von Menschen. Dass die letzte Folge dies auch noch durch eine umfassende Sexualisierung und Ästhetisierung der Opfer und Täter(innen) tat, erscheint besonders perfide: Da konnte der österreichische und deutsche Spanner (beiderlei Geschlechts) nämlich die schönen, aber verhüllten Türkinnen zuhause ohne Kopftuch sehen, ihre enthüllten Körper im Hamam goutieren. Da werden Frauen und ihre Körperlichkeit instrumentalisiert, um das Exotische - und dann eben doch nicht zu unserer Kultur passende "Andere" - als frauen- und körperfeindlich sowie gewalttätig zu stigmatisieren und letztlich auszuschließen.
Gewalt gegen Frauen ist - aus welchen Motiven, in welchen Formen oder in welchen Milieus - etwas, das gesellschaftlich abgelehnt und sanktioniert werden muss. Das Fernsehen kann dazu in der Tat beitragen. Doch ist Gewalt gegen Frauen nichts, das mit Kultur oder Religion zu tun hat, sondern Gewalthandeln gründet zuvorderst in Gewaltstrukturen, d.h. in Bündeln von Ursachen, die Frauen von Männern abhängig machen. Dies ist besonders ökonomische Abhängigkeit, aber auch Abhängigkeiten und Zwangslagen, die die Migrations- und Einwanderungspolitik der europäischen Staaten schafft: Warum fragte beim "Tatort" am Sonntag eigentlich niemand, weshalb der "Cousin aus Anatolien" geheiratet werden muss? - Vielleicht weil er sonst nicht nach Schengenland kommt? (Birgit Sauer, dieStandard.at, 17.2.2009)