Bilanz eines kosovarischen Intellektuellen ein Jahr nach der Deklaration der Unabhängigkeit.

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Ein Jahr ist es nun her, dass Kosovo sich für unabhängig erklärt hat. Wir müssen dabei an die Bilder denken, wie eine Million Kosovaren auf den Straßen des Landes aber auch überall in Europa und Amerika feierten. Massen von Kindern und Jugendlichen, Frauen und Männern tanzten mit albanischen, amerikanischen und europäischen Flaggen in der Hand. Endlos wurden Feuerwerke abgebrannt und Lieder angestimmt aus Dankbarkeit für die westlichen Staaten, die endlich das Zeichen gegeben hatten: Jetzt hatte Kosovo den entscheidenden Schritt tun und sich auch formal von Serbien loslösen dürfen.

Von den vielen dunklen Szenarien, die für diesen Fall ausgemalt wurden, ist keines Wirklichkeit geworden. Wo blieben die Traktorenkolonnen mit den serbischen Flüchtlingen? Wurde die russische Drohung mit einem neuen Kalten Krieg umgesetzt? Gab es Sanktionen gegen die Staaten, die die neue Realität auf dem Balkan anerkannten? Was ist aus den Belgrader Drohungen geworden, das Wasser und die Versorgung mit Lebensmitteln einzustellen?

Seit 17. Februar 2008 ist die Republik Kosovo Realität. Die mächtigsten Staaten der Welt hatten die Möglichkeit für Verhandlungen für ausgeschöpft gehalten, nachdem der früherere finnische Präsident Martti Ahtisaari und sein erfahrener Unterstützer, der Österreicher Albert Rohan, keine Einigung mit Belgrad hatten herbeiführen können.

Heute wirken hier nicht weniger als vier internationale Missionen. Wer das letzte Wort hat, ist strittig. Die Unmik-Mission der Vereinten Nationen, die Kosovo seit 1999 verwaltet hat, ist geblieben. Ihre Zuständigkeiten sind reduziert; An der Spitze steht der Italiener Lamberto Zannier. Wichtiger ist jetzt das International Civilian Office (ICO) mit dem Niederländer Pieter Feith an der Spitze, der gleichzeitig Sondergesandter ("EURSG") des EU-Außenbeauftragten Javier Solana ist. Die ebenfalls EU-geführte Polizei-, Justiz- und Rechtsstaatsmission Eulex wird von dem Franzosen Yves de Kermabon geleitet, nicht zu vernachlässigen die OSZE-Mission unter dem Österreicher Werner Almhofer. Regie im Hintergrund schließlich führt die so genannte Quint, das Gremium der Botschafter der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands und Italiens.

Ein Chaos von Missionen? Ja, leider. Gern wird ventiliert, dass die Missionen hunderte Millionen Euro aus den Taschen der europäischen Steuerzahler ausgeben. Allerdings landen die Gelder, die für die Kosovaren bestimmt sind und die man ihnen gern vorrechnet, am Ende zu 80 Prozent wieder dort, wo sie freigegeben wurden: in Brüssel, New York, Berlin, Washington, London oder Wien. Die Gehälter der internationalen Verwalter sind achtmal so hoch wie die von Inländern in vergleichbarer Position. Das ist kein Plädoyer für den Rückzug der internationalen Kräfte. Im Gegenteil. Das kleinste und ärmste Land in Europa braucht eine wirksame Verwaltung, die die Erwartungen der Bevölkerung auch wirklich erfüllt.

Serbien hat eine letzte und große Rolle im Kosovo spielen können und das freie Leben in dem neuen Staat erschwert. Im Herbst hat Belgrad einen diplomatischen Sieg errungen: Jetzt prüft der Internationale Gerichtshof in Den Haag, ob die Unabhängigkeit Kosovos gegen das geltende Völkerrecht verstößt (Vgl. "Botschaft an die Schwarz-Weiß-Denker im Kosovo" von Dragan Velikić, Standard, 29. 1. 2009) - nach intensivem Lobbying des serbischen Außenministeriums besonders bei Staaten der Dritten Welt. Noch immer spielt Belgrad mit den Serben in Nord-Mitrovica, die die Institutionen von Kosovo nicht akzeptieren. Dabei weiß Serbien, dass es Kosovo schon 1999 durch den Einmarsch der Nato-Truppen verloren hat.

Zu allen diesen Schwierigkeiten kommt, was ich einen Mangel an Staatsbewusstsein nennen möchte - bei den albanischen Politikern von Kosovo ebenso wie bei der einfachen Bevölkerung. Immer wieder kommt es bei Ernennungen und bei dringenden Entscheidungen zu Verspätungen, weil blind abhängige Anführer der albanischen Mehrheit für jede Entscheidung auch die Meinung des großen Bruders einholen. Das ist ja durchaus praktisch: Bei Versagen oder Misserfolgen können die kosovarischen Politiker sich damit herausreden, dass leider eine "Koordination mit den internationalen Partnern" nötig gewesen sei. Im Volke kommt das an. Fast hundert Jahre lang war es der (serbische!) Staat, der einen schlug und misshandelte, tötete und zerstörte. Danach war es die UNO, die sich den Kopf nicht darüber zerbrach, ob ich die Stromrechnung oder die Steuer zahle oder nicht. Den Bürgern von Kosovo fällt es immer noch schwer zu verstehen, dass der Staat, der sich Republik Kosovo nennt, ihnen gehört - dass sie es sind, die entscheiden, wen sie an der Spitze sehen wollen, dass es ihrem Gemeinwesen nützt, wenn Stromrechnungen oder Steuern bezahlt werden.

Berücksichtigt man allerdings, wie lange die Loslösung gedauert hat, war das erste Lebensjahr der Republik Kosovo - nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Stabilität in der Region - durchaus erfolgreich. Happy Birthday, Kosovo! (DER STANDARD, Printausgabe, 17.2.2009)