"Aufgrund der sinkenden Ölpreise wird die populistische Basis der Politik in nächster Zeit sehr stark unter Druck geraten."

Quelle: Hein

Die Möglichkeit zur Wiederwahl allein, ist noch kein Schritt in Richtung Diktatur, erklärt Wolfgang Hein vom GIGA-Institut für Lateinamerikastudien in Hamburg im Gespräch mit derStandard.at. "Der Ausgang des Referendums bedeutet nur, dass die Amtszeit möglicherweise verlängert werden kann, wenn er bei den nächsten Wahlen wiedergewählt wird." Allerdings könnten die sinkenden Einnahmen aus dem Ölexport auch das Ende für die Sozialprogramme bedeuten und damit der Beliebtheit Chávez' bei ärmeren Bevölkerungsschichten Grenzen setzen. Dass sich Chávez nach einer eventuellen Wahlniederlange mit militärischen Mitteln an der Macht hält, glaubt Hein allerdings nicht.

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derStandard.at: Ist die mögliche Verlängerung der Amtszeit der erste Schritt Richtung Diktatur?

Wolfgang Hein: Das ist schwer zu sagen. Es hat schon im Dezember 2007 ein erstes Referendum gegeben, wo Chávez versuchte, die Möglichkeit der Wiederwahl durchzusetzen. Das war verbunden mit einer ganzen Reihe sehr viel weiter gehenden Verfassungsänderungen und ist mit knapper Mehrheit abgelehnt worden. Chávez hat dieses Ergebnis zunächst auch anerkannt. Jetzt hat er versucht, durch eine stärkere Fokussierung der Verfassungsänderung auf die Frage der weitergehenden Amtszeit zumindest diesen Punkt durchzubekommen.

Formal ist in präsidentiellen Demokratien die Begrenzung der Amtszeit normal. In Lateinamerika war es lange Zeit nur eine Amtszeit - jetzt gibt es die Tendenz in einer ganzen Reihe von Ländern, dass zumindest eine Wiederwahl möglich ist. Wenn man das mit parlamentarischen Demokratien vergleicht, wo, wenn die Mehrheiten entsprechend sind, der Regierungschef auch mehrmals wieder gewählt werden kann, ist allein die Möglichkeit zur Wiederwahl noch keine so weitgehende Vorentscheidung. Der Ausgang des Referendums bedeutet nur, dass die Amtszeit möglicherweise verlängert werden kann, wenn er bei den nächsten Wahlen wiedergewählt wird.

derStandard.at: Der Grund für Chávez große Beliebtheit bei ärmeren Bevölkerungsschichten sind seine Sozialprogramme, die durch Öl-Einnahmen finanziert werden. Jetzt sinkt der Ölpreis und die Wirtschaftskrise tut das Ihrige dazu, dass dem Staat das Geld ausgeht. Wird in weiterer Folge auch die Beliebtheit von Chavez sinken?

Hein: Das ist grundsätzlich zu erwarten. Wenn man so will, hatte der Zusammenbruch des traditionellen Parteiensystems in Venezuela ähnliche Gründe. In den 1960er und 1970er Jahren gab es ein relativ stabiles Zwei-Parteiensystem, plus einiger linker Parteien, die auch im Parlament vertreten waren. Damals war es ja auch so, dass sich dieses System in einer Zeit steigender Ölpreise stabilisiert hat.

In den 1980er Jahren, als die Ölpreise langfristig gesunken sind, ist dieses Parteiensystem immer mehr unter Druck gerat und hat sich schließlich mit einer ganzen Reihe von Skandalen in den 1980er Jahren letztlich aufgelöst. Diese traditionellen Parteien spielen nur noch eine sehr geringe Rolle. Ein großer Teil der Wähler, der damals diese Parteien verlassen hat, hat in Chàvez ihren Hoffnungsträger gefunden.

derStandard.at: Müssen sich die Gegner von Chávez nun auf mehr Repressionen von Seiten der Regierung einstellen?

Hein: Aufgrund der sinkenden Ölpreise wird die populistische Basis der Politik in nächster Zeit sehr stark unter Druck geraten. Dann ist natürlich schon zu befürchten, dass Chávez versucht, die Mobilisierung in größeren Bevölkerungsteilen zu nutzen, um noch zusätzlich Druck auszuüben.

Bisher hat er versucht alles im Prinzip doch innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung durchzusetzen. Gleichzeitig hat Chávez immer betont, dass er Mehrheiten für seine Politik hat.

Auch die internationalen Situation, in der er sich befindet, spielt eine Rolle: Der einzige Bündnispartner, der grundsätzlich sagen würde, dass diese Form von parlamentarischer Demokratie für eine sozialistische Politik nicht relevant ist, wäre Kuba. Während auf der anderen Seite alle Versuche der Kooperation mit Ländern wie Bolivien, Argentinien oder Brasilien doch problematisch werden würden, wenn Chávez sich ganz offen über Wahlen oder Ergebnisse von Referenden hinwegsetzt. Bisher die Wahlbeobachter, die im Land waren, immer gesagt haben, dass diese Referenden im Wesentlichen fair abgelaufen sind.

derStandard.at: Angenommen Chávez würde die nächsten Wahlen verlieren, glauben Sie an einen Rückzug?

Hein: Ich glaube eigentlich nicht, dass Chávez versuchen würde mit einem Militärputsch an der Macht zu bleiben.

derStandard.at: Wie kann man sich das gespannte Verhältnis zu Israel erklären?

Hein: Chávez versucht seine Bündnispartner unter den linken Regierungen in den Entwicklungsländern zu finden. Das heißt auch, sich als Vorreiter des Kampfes der Entwicklungsländer gegen die Industrieländer zu positionieren. Das bedeutet eben auch Länder wie den Iran, Nordkorea und Libyen, die von den USA tendenziell als Schurkenstaaten bezeichnet werden, mit einzubeziehen. Darunter sind einige Länder, die eine sehr aggressive Politik gegenüber Israel vertreten. Von daher gerät Israel in die Perspektive des Nord-Süd-Konfliktes. Wie weit es antisemitische Aspekte im Inneren Venezuelas gibt, weiß ich nicht. Davon hab ich nie gehört.

derStandard.at: Wie werden sich die Beziehungen zu den USA weiterentwickeln jetzt wo Obama Präsident ist und das Feindbild Bush fehlt?

Hein: Ich kann mir nicht vorstellen, dass beide enge Freunde werden. Aber andererseits wird Obama sicherlich versuchen, gute Beziehungen zu Ländern zu entwickeln, die Chàvez tendenziell als Bündnispartner sieht. Auch die Entwicklung der Beziehungenen zwischen den USA und Kuba spielt eine Rolle. Wenn Obama Kuba Chancen für eine Normalisierung der Beziehungen aufzeigt, nehme ich an, dass ein gegen die USA gerichtetes Bündnis Venezuela-Kuba nicht sehr viele Chancen hat. (mka, derStandard.at, 16.2.2009)