Am 16. Februar 1919 haben Frauen in Österreich zum ersten Mal gewählt. Gut zwei Wochen später, am 4. März, als sich die Nationalversammlung konstituierte, zogen erstmals acht Frauen in das Parlament ein. Heute, 90 Jahre später, weist der designierte Linzer Weihbischof Gerhard Maria Wagner auf "das Mörderische" an der Fristenlösung hin.

Was das historische Datum mit der Aussage eines katholischen Priesters zu tun hat? Sehr viel. Denn stets geht es um das Ringen zwischen Selbstbestimmung und Bevormundung: Was vor fast einem Jahrhundert durch aktive Teilnahme am politischen Entscheidungsprozess in richtige Bahnen gelenkt wurde, ist noch immer nicht am Ziel angekommen. Ja, es droht vielmehr ein Rückfall.

Die Wahl für oder gegen eine Schwangerschaft ist eine zutiefst persönliche Entscheidung einer jeden Frau, die diese nach ihrem Gewissen und in Anbetracht ihrer speziellen Lebenssituation zu treffen hat. Diese Wahlfreiheit ist unantastbar. Die politische Debatte darüber ist längst geführt und solche Versuche, sie wieder zu eröffnen, folgen durchschaubaren Motiven. Strikt abzulehnen ist jeder Versuch der Re-Kriminalisierung von Frauen, wie ihn Wagner unverhohlen betreibt.

Es ist Sache der katholischen Kirche, mit welchen Botschaften sie ihre Mitglieder zu Beginn des 21. Jahrhunderts bei der Fahne zu halten können glaubt. Dass sie unter dem jetzigen Papst mittels Hinwendung zu streng konservativen Werten gegen gesellschaftlichen Bedeutungsverlust ankämpft, ist evident und zu einem guten Teil kircheninterne Angelegenheit.

Es ist weiters einem Bischof unbenommen, gegen Schwangerschaftsabbruch zu sein und das zu predigen (wenn er meint, nach altem Ritus von der Kanzel, also von oben herab). Aber auch er hat die geltende Gesetzeslage zu respektieren, nach welcher Schwangerschaftsabbruch straffrei ist. Es steht Wagner darum nicht zu, Frauen taxfrei zu "Mörderinnen" zu erklären. Abgesehen davon, dass es reichlich verlogen ist, erst Verhütung zu untersagen, sich gegen Aufklärungsunterricht in Schulen zu wehren und hinterher Frauen zu stigmatisieren.

Es ist die erbitterte Auseinandersetzung in dieser Frage Mitte der 70er-Jahre noch in schlechter Erinnerung. Diese Kämpfe sollten nicht wieder eröffnet, die seither mühsam überwundenen Gräben nicht wieder aufgerissen werden. Gewiss wollen auch die vernünftigen Kräfte in der katholischen Kirche nicht zu früheren, mittelalterlichen Zuständen zurückkehren.

Die Frage ist, ob der Weihbischof in spe gezielt provoziert oder ob er sich der Konsequenz seiner Worte womöglich nicht voll bewusst ist. Will er wirklich Frauen zurück in die Hände von "Engelmacherinnen" und somit in die Illegalität - oft auch in den Tod - treiben? Will er sie in einer ohnedies extremen Situation auch noch moralisch unter Druck setzen? Will er sie, anstatt ihnen zu helfen, tatsächlich vor Gericht zerren?

Frauen mit Schuldgefühlen zu beladen ist Methode des Patriarchats, das keinesfalls überwunden ist. Diskriminierung von Frauen erfolgt heute üblicherweise subtiler als früher. Gesetzlich verankerte patriarchalische Strukturen sind abgebaut, das neue Patriarchat heißt Überforderung: Erfolg im Beruf, genügend Zeit für die Kinder, zudem Attraktivität und Aktivität in Form gleich mehrerer Hobbys - das alles scheint für die Frau von heute möglich.

Die Wahlfreiheit suggeriert, dass Frauen als Individuum einfach alles erreichen könnten, sofern sie nur wollten. Dieses Ausblenden der gesellschaftlichen Realitäten unterdrückt Frauen, indem es sie überfordert. Wer dem nicht standhält und wer an den nach wie vor bestehenden "gläsernen Decken", an der de facto Nicht-Beteiligung der Partner an Betreuungspflichten sowie an nicht auslebbaren eigenen Bedürfnissen scheitert, ist schlicht nicht belastbar genug.

Als Frauenpolitikerinnen erleben wir, dass es zunehmend wieder schwieriger wird, auf die Anliegen der Frauen aufmerksam zu machen. Die Reaktion, ob es - angesichts Wirtschaftskrise und einbrechendem Arbeitsmarkt - denn keine größeren Sorgen gäbe, als Quoten zu fordern, ist Indiz dafür. Als ob die Gleichstellung von Frauen konjunkturabhängig sei. Mitreden als Luxus in besseren Zeiten, doch jetzt ist erst einmal wieder Zurückhaltung angesagt. Kirchenmänner wie der künftige Linzer Weihbischof setzen auf diesen Trend.

90 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts hat sich zweifellos vieles im Sinne der Frauen zum Positiven verändert. Am Ziel sind wir deswegen aber noch lange nicht. Es geht - damals wie heute - letztlich darum, wie groß der Einfluss von Frauen auf die grundsätzliche Form und Ausgestaltung von Politik ist. Es geht um ihre gleichberechtigte Teilhabe am politischen Prozess und an Führungspositionen - nicht um bloße Teilnahme unter männlichen Spielregeln. Es geht um Selbstbestimmung. (DER STANDARD, Print, 16.2.2009)