Wien - Die samstägigen philharmonischen Nachmittage bergen neben dem zu erwartenden hohen künstlerischen Potenzial auch ein im Ansteigen begriffenes medizinisches Risiko. Denn die Abonnenten werden nicht jünger und brauchen die dem Mittagsmahl folgenden Stunden offenbar so dringend für ihr Verdauungsschläfchen, dass sie dieses einfach absolvieren müssen - egal, wo sie sind. Und sei es im Großen Musikvereinssaal.

So geschah es, dass, während die Creme der österreichischen Instrumentalisten unter Zubin Mehtas Leitung auf die denkbar süffigste Weise Schönbergs Verklärte Nacht intonierte, nicht wenige Damen und Herren im Publikum den zweiten Teil des Werktitels möglicherweise allzu ernst nahmen und den prächtigen Beginn dieses après-midi schon für eine angemessene Schlafenszeit hielten.

Dass dann auch noch synchron zu dem in einem zarten Tongewebe endenden Opus am Stehplatz jemand bewusstlos zusammenbrach, sollte die Veranstalter davor warnen, die körperliche Form ihrer Klientel zu überschätzen. Vor allem, wenn es sich um Werke intimeren Inhalts handelt, wie jenes von Schönberg eines ist.

Bei Anton Bruckners Neunter sind zumindest jene wach geblieben, die bei Schönberg eingeschlafen waren. Dies liegt freilich auch am lauten Wesen des Werkes, das die Philharmoniker in einer Interpretation der Luxusklasse abgeliefert haben. Wie könnte dies auch unter Zubin Mehtas Leitung anders sein?

Darf er doch als legitimer Erbe des interpretatorischen Vermächtnisses von Dirigent Sergiu Celibidache gelten, der in Bruckners katholischen Klangprunk sein von der rumänischen Orthodoxie gespeistes Prachtbewusstsein einfließen ließ. Dieses hat Zubin Mehta als Parse gar in galaktische Regionen gerückt, aus denen die "dem lieben Gott" gewidmete Symphonie mit Glanz und Gewalt hereinbrach.

Der Zufall wollte es, dass tags zuvor das Philadelphia Orchestra unter Christoph Eschenbach ebenfalls mit einem Schönberg-Bruckner-Programm gastierte - mit Schönbergs erster Kammersymphonie op. 9 und Bruckners Sechster. Und: Die Gäste haben beste Figur gemacht. Schon die Kammersymphonie klang mit einer solchen selbstläuferischen Sicherheit, als würde dieses Orchester ausschließlich Schönberg spielen. Vor allem die klare, ausgefeilte Formulierung der fragilen Strukturen, mit denen sich Schönberg in die ungewissen Regionen der von den Regeln der Tonalität befreiten Klänge begab, war es, die diese Interpretation aufs höchste qualifizierte.

Dass die Damen und Herren ausschließlich nur Bruckner spielen, wird man ihnen nach Anhören dieser Sechsten weniger unterstellen. Aber die Präzision, mit der sie bei der Sache waren, und auch die Poesie, die Eschenbach vor allem in den melodischen Streicherpassagen erstehen ließ, fordern höchsten Respekt. (Peter Vujica, DER STANDARD/Printausgabe, 16.02.2009)