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Göttliche Gerichtsbarkeit in Form der Rota Romana, einer Instanz, gegen die kein Widerspruch möglich ist

APA/ Hans Klaus Techt

Am Beginn des Jahres 2002 klagte ein Mann vor einem Metropolitan- und Diözesangericht auf Nichtigerklärung seiner rund 18 Jahre zuvor nach römisch-katholischem Ritus geschlossenen Ehe. Als Klagegrund gab er an, seine Frau sei nach Kirchenrecht (§ 1095, 3) zum Zeitpunkt der Eheschließung absolut unfähig gewesen, die Ehe zu führen. Der angeführte Paragraf lautet: "Unfähig, eine Ehe zu schließen, sind jene, die aus Gründen der psychischen Beschaffenheit wesentliche Verpflichtungen der Ehe zu übernehmen nicht imstande sind."

Das Diözesangericht akzeptierte die Klage, im Verlauf des Verfahrens veränderte sich allerdings der Klagegrund. Im Urteil, das dem Standard vorliegt, ist auf Seite 19 zu lesen: "Die Ungültigkeit der Ehe (...) ist aus dem Klagegrund (relative) Incapacitas (Unfähigkeit; Anm. d. Red.) seitens der Frau erwiesen und steht fest."

Relative Unfähigkeit zur Eheführung, so führt das Urteil aus, sei „eine relative Befindlichkeit, das heißt also auf die spezielle Kombination der beiden Partner bezogen, deren Interaktion auf die Dauer nicht tragbar war, womit gleichzeitig klargestellt wird, dass beide Parteien mit anders veranlagten Partnern in der Interaktion als Paar nicht beeinträchtigt wären". Ein Kirchenrechtsexperte, der um Anonymität bat, nannte die Urteilsbegründung eine "Frechheit" und eine Argumentation, "die nicht der herrschenden Lehre entspricht". Er sei überzeugt, das Urteil werde in der zweiten Instanz vor dem Gerichtshof Rota Romana in Rom nicht halten.

Auf den rechten Weg zurück

In Österreich und anderen katholischen Staaten existiert neben der öffentlichen noch eine zweite Rechtsprechung. Ihre Richter berufen sich im Unterschied zu den Vertretern der staatlichen Gerichtsbarkeit auf eine Instanz, gegen die kein Widerspruch möglich ist: Gott. Die Diözesengerichte sollen Menschen, deren Leben mit dem Glauben in Konflikt geraten ist, auf den rechten Weg der katholischen Kirche zurückführen. Dazu gehört die Befreiung aus dem Band einer Ehe, die nicht mehr erträglich oder opportun erscheint. Die Ex-Außenministerin Benita Ferrero-Waldner und ihr Ehemann Wolfgang Sterr ließen sich 1983 scheiden. 1993 heiratete sie den spanischen Universitätsprofessor Francisco Ferrero Campos. 2003 ließ sie die Ehe mit Sterr von einem Kirchengericht annullieren.

Die Kandidatur für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten stand knapp bevor. Ferrero-Waldner konnte ihre zweite Ehe katholisch machen. Bis heute lässt sich der Eindruck nicht verwischen, das Schäfchen Ferrero-Waldner sei im letzten Augenblick in die gute Herde zurückgeführt worden. Die Erzdiözese Wien weist alle Vorwürfe von Unregelmäßigkeiten zurück. Auch die erste Ehe der Ex-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat, aus der zwei Kinder stammen, wurde mit päpstlicher Zustimmung für ungültig erklärt. 2000 heiratete sie den Waffenlobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly. Ob die Ehemänner der beiden Damen mit den Vorgängen einverstanden waren oder nicht, wurde nie bekannt. Ein Schweigegelöbnis begleitet jeden derartigen Fall vor einem Kirchengericht. Ein guter Katholik scheidet und schweigt.

2008 berichtete die italienische Tageszeitung Corriere della Sera, dass vor dem römischen Kirchengericht Rota Romana inzwischen jede fünfte italienische Ehe annulliert werde. Als Gründe werden Druck von außen, Ablehnung von Kindern oder arglistige Täuschung angeführt. Um die Verfahren zu beschleunigen, würden bis zu 20.000 Euro bezahlt, berichtet der Corriere. Die Zahl der Anmeldungen zur Annullierung stieg seit 2005 um rund 25 Prozent, auch aus dem Ausland erhalte der Vatikan viele Anträge. Im Vorjahr ermahnte Papst Benedikt XVI. das Gericht, mit der Ungültigkeitserklärung von Ehen vorsichtig zu sein.

Vor allem "Psychisches Unvermögen" sei kein Argument, eine Ehe als nicht geschlossen zu beurteilen. Die "relative Unfähigkeit" gehört zu diesem Begründungskomplex und wird daher von den römischen Gerichten gemieden. Mit dieser Argumentation würde der Annullierung Tür und Tor geöffnet werden. Genau das versucht die römische Gerichtsbarkeit zu vermeiden. Die Moral der folgenden Geschichte vor einem österreichischen Diözesangericht ist eine andere.

Sie erhielt die Familie

Es muss Liebe gewesen sein. Am Tag der Hochzeit kannten die Eheleute einander kaum ein Jahr. Ein Jahr später kam eine Tochter zur Welt, zweieinhalb Jahre später die zweite. Die Mutter, eine sportliche Natur, musste sich aufgrund von Risikoschwangerschaften schonen. Um eine Frühgeburt zu verhindern, lag sie jeweils viele Wochen lang mit hochgelagerten Beinen im Bett. Wenige Monate nach der ersten Geburt arbeitete sie wieder. Der Mann studierte, und sie erhielt die Familie. Um die Kinder kümmerten sich die Eheleute gemeinsam.

Im Sommer 1988 übersiedelte die Familie ins Ausland. Nach dem Zweitstudium begann auch er Geld zu verdienen. Anfang der 90er-Jahre verlor die Beziehung langsam an Schwung. Die Familie kehrte nach fünf Jahren im Ausland nach Österreich zurück, die Eheleute trennten sich zwei Jahre danach, einige Jahre später ließen sie sich scheiden. Er war damit einverstanden, dass ihr das alleinige Sorgerecht für die Kinder zugesprochen wurde. Sie hatten elf Jahre zusammen gelebt. Sie hatte ihn erhalten, als er studierte, dieser Qualifikation verdankte er den Direktorenjob an einer katholischen Privatschule. Doch dafür musste er seine Ehe mit seiner Frau annullieren lassen. Eines Tages erhielt die Frau Besuch einer Freundin. In einem Gedächtnisprotokoll beschreibt sie einen Dialog zwischen der Frau und ihrem von der Familie getrennt lebenden Mann. Er sagt: "Man ist an mich herangetreten, ich soll meine Ehe annullieren lassen."

"Wer ist man?", fragt die Frau. „Prälat XY (Name der Redaktion bekannt) hat gesagt, es würde ein besseres Bild für meine Stelle machen." (Der Direktorsposten an der katholischen Privatschule; Anm. d. Red.) "Aber es gibt doch keinen Grund bei uns. Außerdem hast du dich immer über Annullierungen lustig gemacht." "Prälat XY hat gesagt, es gibt so viele Gründe, von denen das Volk nichts weiß, irgendeinen werden wir schon finden. Notfalls kann man das ein bisschen drehen und wenden." Ans Ende der Gesprächsnotiz setzt die Ohrenzeugin eine persönliche Notiz: "Über die Empörung seiner ehemaligen Gattin, die dieses Vorhaben total unehrlich fand, machte er sich nur lustig. Er ging ziemlich unwirsch aus der Wohnung."

Zum Schweigen verpflichtet

Rund zwei Jahre später lebte der inzwischen zivilrechtlich Geschiedene und kirchenrechtlich weiterhin Verheiratete mit seiner Freundin zusammen. Daher ging es nicht mehr bloß um „ein besseres Bild". Die Lebenslage des Mannes widersprach den kirchlichen "Richtlinien zur Weiterverwendung wiederverheirateter Geschiedener". Darin wird unter Punkt 3 "eine katholisch geschlossene und gestaltete Ehe" als "ein wesentlicher Ausdruck des Glaubens, der durch das Lebenszeugnis und im Unterricht vermittelt werden soll", festgehalten. der Standard versuchte, den Mann zu einer Stellungnahme zu bewegen. Doch laut Verfahrensordnung des Kirchenrechts musste er sich - wie auch seine Frau, die Verfahrensgegnerin - zum Schweigen verpflichten.

Er könne zu einem laufenden Verfahren nichts sagen, so der Mann. Auch alle vom Standard befragten Kirchenfunktionäre verweigerten jede Stellungnahme. Eine Bitte um Information über die Zahl oder eine etwaige Steigerung der Zahl kirchenrechtlicher Eheannullierungen wurde vom erzbischöflichen Sekretariat abschlägig beurteilt. Die Frau reagierte auf die Klage, indem sie den Vorgesetzten des Mannes, den damaligen Leiter des Katechetischen Amtes (sozusagen der Landesschulrat der Diözese) kontaktierte. Sie wollte wissen, wie es die Diözese mit der Verwendung Geschiedener und Wiederverheirateter an katholischen Schulen halte. Über das Gespräch verfasste sie ein Gedächtnisprotokoll.

Zunächst glaubt der Kirchenfunktionär, die Besucherin wolle ihre Ehe annullieren lassen. Sei das kirchliche Amt an Annullierungen interessiert, fragt sie? Der Kirchenmann antwortet (alle Zitate folgen dem Protokoll der Frau): "Ja und ob! Wir haben gerade jetzt jemanden, der seine Ehe annullieren lässt, weil er es braucht. Ich bin selbst Diözesanrichter, aber nicht, wenn ich befangen bin."

Sie wendet ein, dass der beklagte Ehepartner aus Überzeugung gegen die Annullierung sein könnte oder die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder dadurch seelische Verletzungen davontrügen. Der Kirchenfunktionär antwortet, das sei ein persönliches Problem. Zitat: "Aber wir sagen unseren Leuten immer, wenn man das braucht für eine kirchliche Anstellung, dann soll man das mit allen Mitteln durchziehen und keine Rücksicht nehmen."

Als er merkt, dass er mit der geschiedenen Ehefrau des Schulleiters spricht, der seine Ehe annullieren lassen will, erstarrt der Kirchenmann. Er sitzt "längere Zeit mit offenem Mund und aufgerissenen Augen da". Auf ihre Vorhaltung, ihr Mann habe zugegeben, dass der Leiter des Katechetischen Amtes ihn unter Druck gesetzt habe, schiebt der Kirchenmann die Verantwortung von sich: "Da müssen sie sich bei meinem Vorgänger beschweren!" Den Hinweis der Frau, in Frankreich oder Belgien könnten Geschiedene ihre Arbeit an den kirchlichen Schulen behalten, kontert er: "Wir verfolgen die Linie Roms, die anderen sind die Abtrünnigen." Als die Ehe noch intakt war, widmete der Mann seiner Frau, die soeben das erste Kind geboren hatte, folgende Zeilen (Auszug): „Dieser Tag hat aus unserer Ehe eine Familie gemacht." Er schließt mit den Worten: "Vielen, vielen Dank für Deine Geduld, die du während unserer harten Schwangerschaft aufgebracht hast."

Wir verfolgen die Linie Roms

Zwölf Jahre später sind sie getrennte, aber noch nicht durch das Gesetz und Verfahren geschiedene Leute. Wieder verfasste er einen Brief: „Wir haben uns vor unseren Kindern aneinander schuldig gemacht. Wir haben uns benommen wie kleine Kinder, die unkontrolliert und emotional aufeinander losgehen." Gemeinsam, so der spätere Kläger, „haben wir manche schwere Situation gemeistert ... aber, wir hielten zusammen."

Wieder einige Jahre später charakterisiert er seine Frau vor dem Diözesangericht als "psychisch krank und unfähig zur Erfüllung der ehelichen Pflicht". Sie umfasst laut Kirchenrecht das Ja zu Kindern und die Sorge um das Gattenwohl. Bei der Scheidung hatte er ihr zugeredet, das alleinige Sorgerecht zu übernehmen. Sie willigte ein. Vor dem Kirchengericht behauptete er, der sich der Pflicht zur Kinderpflege nicht unterzogen hatte, diese selbe, seit Jahren alleinerziehende Mutter, sei dazu nicht in der Lage.

Da alle Eingaben und Verweise auf die der Klage widersprechenden Zeugenaussagen das Verfahren nicht beenden konnten, erklärte die Beklagte Ende 2002, dem Gericht nicht mehr persönlich zur Verfügung zu stehen. Das Verfahren, so teilte sie dem Gericht mit, gefährde die seelische Gesundheit ihrer Kinder und entbehre ihrer Meinung nach jeder Grundlage.

Weisung des Dienstgebers

Neben der Annullierungsklage musste sich die Frau auch um den Unterhalt für die Kinder mit ihrem Mann streiten. Die Sache endete mit einem Vergleich. Der Mann wollte hinkünftig Alimente in festgelegter Höhe leisten und seinen über drei Jahre aufgelaufenen Unterhaltsrückstand für die zwei minderjährigen Töchter begleichen. In diesem Zusammenhang schickt sein Rechtsanwalt ein E-Mail an den Anwalt der Frau. Darin steht, dass sein Mandant "dieses Verfahren auf Weisung seines Dienstgebers einleiten musste". Aus dem Zusammenhang geht klar hervor, dass das Annullierungsverfahren gemeint ist.

Der Rechtsanwalt der Frau präsentierte die anwaltliche E-Mail und äußerte den Verdacht, "dass auf Kosten sowohl des Wohls meiner Mandantin als auch der Wahrheit ein Ehenichtigkeitsverfahren angestrengt worden ist, an dem und dessen 'positivem‘ Ausgang im Sinne eines affirmativen Urteils weniger der Kläger selbst als vielmehr andere Personen ein lebhaftes Interesse haben". Außerdem listete er eine Reihe von "zusätzlichen Fragen für die Nachvernehmung des Klägers" auf. Damit wollte er den Verdacht erhärten, der Kläger habe das Verfahren auf Druck seines Dienstgebers angestrengt. Und noch etwas wollte er wissen: Habe der Kläger mit dem Diözesangericht gar Absprachen getroffen?

Das Gericht reagierte prompt und warf "nach Rücksprache mit dem Hochwürdigsten Herrn Erzbischof" den Rechtsanwalt der Frau aus dem Verfahren. Begründung: "Derartiges muss sich das Gericht nicht bieten lassen." Mit „Derartiges" meinte das Gericht offensichtlich die Überprüfung von Zeugenaussagen. Mit seinem Fragenkatalog hatte der Rechtsanwalt „nicht nur neuerlich jede geforderte Höflichkeit und die dem Gericht geschuldete Ehrerbietung gröblich verletzt, sondern auch einen letzten Punkt der Unverfrorenheit erreicht". Anwalt und Mandantin beschwerten sich beim Bischof. Der antwortete, er könne "inhaltlich konkret auf das Verfahren" nicht eingehen. Im Unterschied zu zivil- oder strafrechtlichen Verfahren erhält ein vor dem Diözesangericht Beklagter keineswegs seinen Akt.

Die Frau durfte ihn zwar lesen und sich Notizen machen, aber nicht kopieren. Dabei fiel ihr auf, dass von einem Tag auf den anderen neue Seiten (mit dem Suffix a) im Akt auftauchten, andere jedoch verschwanden. Wieder beschwerte sie sich beim Bischof, wieder konnte der alles erklären. Um ein faires Verfahren zu gewährleisten und eine etwaige Befangenheit des Gerichts - Kläger ist bei der Diözese angestellt - auszuschließen, bat sie um Verlegung des Verfahrens an ein anderes Diözesangericht. Doch eine Verlegung sei nicht vorgesehen, wurde ihr beschieden. Eines Tages stellte sie während des Aktenstudiums fest, dass das Gericht ein psychologisches Gutachten über sie in Auftrag gegeben hatte. Sie selbst war vom Gericht nicht verständigt worden. Sie legte dagegen Einspruch ein, wiederum wies das Gericht sie ab.

Die Gutachter kontaktierten oder befragten die Frau nie. Ob das persönliche Gespräch für die Erstellung eines gerichtlichen Gutachtens notwendig sei, wollte der Standard von einem der befassten Gutachter wissen. „In der Regel braucht man den persönlichen Kontakt", sagte der Psychotherapeut. „Aber bei schwerwiegenden Gründen kann man darauf verzichten." Schwerwiegende Gründe seien beispielsweise Krankheit oder „wenn jemand nicht zur Verfügung" steht. Oder das Gericht bestelle ein Gutachten, dem nur die Verfahrensakten zugrunde liegen. Auf das vorliegende Verfahren angesprochen, verweigerte der Gutachter die Auskunft und beendete das Gespräch.

Unter Anrufung Gottes

Die Frau war darüber empört, dass Gutachter aus den Akten und entgegen allen Zeugenaussagen mehr als 20 Jahre rückwirkend die (relative) Unfähigkeit zur Eheschließung rekonstruieren wollten. Da die Frau den Glauben an die Objektivität des Diözesangerichts verloren hatte, wandte sie sich an ein Bezirksgericht. Sie wollte den Mann und Kläger dazu zwingen, seine Behauptung zurücknehmen, sie habe schon in der Jugend an "einer gravierenden psychischen Störung gelitten", sei außerdem unfähig gewesen, für das Wohl der Kinder zu sorgen und am Arbeitsplatz intakte Sozialkontakte zu pflegen.

Für den Prozess vor dem Bezirksgericht musste sie das Versprechen vor dem Kirchengericht, nichts aus dem Akt weiterzugeben, brechen. Das Diözesangericht verbot ihr, fürderhin den Annullierungsakt zu sehen. Ein Rechtsmittel dagegen sieht das Kirchenrecht nicht vor.

Das Bezirksgericht erklärte sich einen Monat nach dem Urteil im Annullierungsverfahren für unzuständig. Da "die Ausgestaltung der gesamten inneren Ordnung", also auch das Erlassen von Gesetzen, Dekreten und Anordnungen, nach dem Konkordat 1933 (Art. I, § 2) "von anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften der Autonomiegarantie des Staatsgrundgesetzes StGG (9 ObA 12/96) unterliegt".

Nach einem ungewöhnlich langen, über mehr als vier Jahre laufenden Verfahren entschied das Diözesangericht 22 Jahre nach der Hochzeit „unter Anrufung des Namens Gottes", die Ehe sei ungültig. Der Hauptgrund, warum nur die Frau der (relativen) Unfähigkeit für schuldig befunden wurde: Er hatte geklagt und konnte also nicht verurteilt werden.

Der Ehebandverteidiger, der alle für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechenden Argumente vorzutragen hat, kommt zum Schluss, die Klage könne angesichts der Zeugenaussagen und Dokumente nur abgewiesen werden.

Auch die Zeugenaussagen legen dar, dass die Ehe bis zur Trennung erst gut und später noch halbwegs funktionierte. Alle Zeugen widersprechen der Darstellung des Klägers, seine Frau sei in irgendeinem seelischen oder sozialen Aspekt „unfähig" gewesen. Im Gegenteil. Ihr Fleiß und Pflichtbewusstsein, ihre Hingabe an die Familie und ihre Opferbereitschaft werden von vielen Aussagen untermauert.

Klarheit gewinnen

Noch wenige Zeilen vor dem Urteilsspruch wird festgestellt: "(...) eine Rückbeziehung der heute unbestritten schwierigsten Beziehung zwischen den Parteien auf die Zeit der Ehe sei nicht zulässig". Das Richterkollegium stimmt dieser Aussage zu, muss allerdings „das Beweisergebnis allgemein dieser Ansicht entgegenhalten". Um „im fließenden Spektrum der seelischen Störungen" Klarheit zu gewinnen und da der Richter „nicht der Gefahr einer Fehlbeurteilung des Tatsachenmaterials erliegen will", seien Gutachter beizuziehen, heißt es im Urteil.

Die Gutachter lesen aus einem Gerichtsakt Probleme der Eheleute zum einzig kirchenrechtlich relevanten Zeitpunkt, nämlich dem der Eheschließung vor zwanzig Jahren, heraus. Ein Gutachten stellt eine „relative Incapacitas nach Jürg Willi", eine sogenannte „Macht-Kollusion" fest. „Für die Beziehungsstörung dieses Paares scheine die Ambivalenz mehrerer Gegensatzpaarungen maßgeblich gewesen zu sein, z. B. Aktivität gegen Passivität, Autonomie gegen Heteronomie, mit entsprechenden Zusätzen versehen."

Das Zweitgutachten ergänzt, "verschiedene Störungen konnten nicht erhoben werden". „Derartige Verhaltensweisen" müssten nicht „die Gesamtpersönlichkeit in allen ihren sozialen Bezügen erfassen", sondern seien „allein und zielgerichtet gegen die vermeintlichen Verursacher ausgerichtet".

Vor zweieinhalb Jahren bat die Frau in Rom das Gericht Rota Romana um Rechtshilfe für die zweite Instanz. Vor wenigen Tagen erhielt sie die Nachricht, ein Anwalt sei ihr zugeteilt worden. Noch ist die Causa nicht „finita", nicht entschieden, weil Rom nicht gesprochen hat. Doch mittlerweile verbreitet sich leises Gemurmel in den Korridoren der kirchlichen Wahrheitsfindung.

Noch schwach, aber verständlich sind die Worte zu verstehen, dass in Österreich "wohl einige Dinge schiefgelaufen sind".  (Johann Skocek/DER STANDARD, Printausgabe, 14.2.2009)