Wirkliche Innovation im Bereich klassischer Mail-Clients waren in den letzten Jahren eher rar gesät. Betrachtet man die Entwicklung der jüngeren Vergangenheit, so kann schon einmal der Eindruck entstehen, dass Neuerungen in diesem Bereich primär im Web stattfinden, komplexe Online-Clients wie GMail und Co. können die Desktop-Software mittlerweile nicht nur weitgehend ersetzen, sondern glänzen auch mit eigenen Spezialitäten.

Postbox

Eine Situation in der nun einige ehemalige Mozilla-EntwicklerInnen beweisen wollen, dass der Desktop-Mail-Client noch einiges an Innovationspotential besitzt. Mit Postbox 1.0b7 hat man nun eine erste öffentliche Beta-Version der eigenen Software veröffentlicht, die mit neuen Ansätzen die Computer-UserInnen begeistern sollen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Postbox steht dabei kostenlos zum Download, es gibt Versionen für Windows und Mac OS X, ob es eine Linux-Variante geben wird, ist eine Frage, auf die sich der Hersteller derzeit noch nicht endgültig festlegen will. Die Verbindung zum Mozilla-Projekt ist übrigens nicht nur in Personalfragen gegeben - einer der Gründer, Scott MacGregor, hat zuvor die Thunderbird-Entwicklung geleitet - sondern auch in Hinsicht auf die Software selbst: Postbox baut auf dem Mozilla/Thunderbird-Code auf.

Abfrage

Beim ersten Start präsentiert sich Postbox zunächst mal weitgehend wie andere Clients - es gilt also neue Mail-Konten zu konfigurieren. Von Haus aus unterstützt die Software POP3 und IMAP-Zugänge, zusätzlich werden GMail, Yahoo! Mail Plus und Apples MobileMe extra ausgewiesen. Verzichten muss man hingegen auf eine Exchange-Anbindung. Wer will kann auch RSS-Feeds oder Newsgroups mit Postbox abonnieren.

Import

Weiters lassen sich die Daten von diversen anderen Clients importieren, neben Outlook und Thunderbird sind das auch Web-Clients wie GMail oder Yahoo! Mail. So werden hier dann also künftig auch die Kontakte automatisch abgeglichen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Auf den ersten Blick halten sich die Unterschiede zu anderen Mail-Clients in Grenzen: Ein Sidebar, die Ordner-Übersicht sowie ein Previewbereich sind die bestimmenden Element. Was allerdings sofort auffällt ist die Benutzung von Tabs, Postbox setzt diese als zentrales Ordnungselement ein.

Extras

Mails werden ebenso in einem Extra-Tab geöffnet wie das Adressbuch oder die Ergebnisse von Suchanfragen. Zusätzlich hat man in der Tableiste aber auch den schnellen Zugriff auf einige Spezialansichten platziert, die Postbox deutlich von der Konkurrenz absetzen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

So lassen sich etwa alle jemals in Mails erhaltenen Bilder in einer eigenen Galerie darstellen. Auch auf die Attachments oder die in Mails enthaltenen Links hat man einen übersichtlichen Zugriff - natürlich alles durchsuchbar und vom jeweiligen Kontext (Account, Folder oder gerade angezeigtes Thema) abhängig.

Index

Damit dies möglich ist, indiziert Postbox die eigene Mail-Sammlung komplett, ein Vorgang der bei der ersten Verwendung schon mal so seine Zeit dauern kann - natürlich stark abhängig von der Größe der lokalen Mailboxes. In Folge passierte dies dann aber unauffällig im Hintergrund, so dass die BenutzerInnen nichts mehr davon bemerken sollten.

sqlite

Auf der technischen Seite verwendet man zur Speicherung der notwendigen Informationen die freie Datenbank sqlite. Der Zugriff darauf erweist sich im Praxis-Test als erfreulich flott.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ein Datenpool dessen direkte Verfügbarkeit sich konsequent durch die gesamte Software zieht. Ein Beispiel hierfür ist etwa das Contact Panel: Beim Klick auf den Namen eines Senders oder Empfängers einer E-Mail werden nicht nur ein Bild und die wichtigsten Eckdaten eingeblendet, es werden auch eine Reihe von weiterführenden Optionen angeboten.

Suche

So lässt sich dann gleich nach allen Mails der betreffenden Person suchen, oder auch nach Attachements und Bildern, die diese bisher versandt hat, fahnden. Selbiges gilt ebenfalls für verschickte Links, sehr nützlich etwa wenn man noch weiß wer einem einen wichtigen Verweis geschickt hat, aber nicht mehr exakt in welchem Mail sich dieser versteckt.

Service

Wie sich später noch ausführlicher zeigen wird, ist ein weiterer Schwerpunkt von Postbox die starke Anbindung an Web-Services. Beim Contact-Panel zeigt sich dies etwa daran, dass verfügbare Adressen gleich direkt auf Google Maps angezeigt werden können.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Zur leichteren Nachverfolgung lassen sich Themen auch manuell mit frei wählbaren "Topics" versehen, quasi die "Tagging"-Funktion von Postbox. Nett dabei, dass die Tags nicht nur auf das betreffende Mail sondern gleich auf eine ganze Diskussion angewendet werden. Dies gilt erfreulicherweise nicht nur für bereits erhaltene Mails - neue Nachrichten zu einer bereits getaggten Diskussion werden ebenfalls automatisch mit den jeweiligen Stichwörtern versehen.

TODO

Eine weiteres Feature, das Postbox anderen Mail-Clients voraus hat, ist die Annotate-Funktion: Mit dieser lassen sich Nachrichten noch im Nachhinein verändern und mit eigenen Anmerkungen versehen. Wer will kann einzelne Mails außerdem mit einem TODO-Status versehen oder überhaupt ganz neue TODO-Einträge vornehmen. Entsprechende Nachrichten werden dann immer am obersten Ende der Verzeichnisübersicht dargestellt - nützlich um anstehende Beantwortungen nicht zu übersehen.

Aktuell

In Kombination mit dem Annotate-Feature lässt sich dann laufend der Stand der jeweiligen Bearbeitung aktualisieren. Über die "Pending"-Funktion kann auch der Fortschritt von delegierten Tasks nachverfolgt werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ähnlich wie bei GMail lassen sich die Nachrichten in einer Konversationsansicht darstellen, in der sowohl eingegangene als auch verschickte Nachrichten eines Diskussionsstrangs übersichtlich zusammengefasst werden. Von Haus aus werden hier die in einem Mail vorhandenen Zitate aus anderen Nachrichten ausgeblendet - schließlich ist dieser Kontext durch die Darstellung der ganzen Konversation ohnehin vorhanden.

Inspector

Direkt neben der eigentlichen Mail-Ansicht präsentiert sich mit dem "Inspector" eine weitere Eigenheit von Postbox: In dem Sidebar werden - unter einer Suchfunktion für weitere Web-Recherchen - alle bisher in einer Konversation vorgekommenen relevanten Informationen übersichtlich vereint. Das können Bilder oder Dokumente aber auch Adressen oder Links sein.

Sharing

Der Mail-Client ist dabei äußerst bemüht, die Weiterverbreitung entsprechender Informationen möglichst einfach zu gestalten, insofern finden sich allerorten Anbindungen an diverse Online-Services. Bilder lassen sich unkompliziert auf Picasa hochladen, Links mit deli.cio.us sharen. Textstellen zu einer Twitter-Nachricht verwandeln ist ebensowenig ein Problem wie das Setzen der Status-Information auf diversen Social-Networks.

Screenshot: Postbox

Zweifelslos ein Highlight von Postbox ist die integrierte Suchfunktion, kein Wunder, greift man hier doch auf die aus den Nachrichten erstellte Datenbank zurück. So können in Windeseile Anfragen nach einer Fülle von Kriterien gestellt werden, die Software tut dabei ihr bestes auch "natürliche" Sprache zu interpretieren, also etwa Einschränkungen wie "before last saturday" richtig zu interpretieren - in der Beta alles freilich noch auf Englisch beschränkt.

Zitate

Wer will kann sich die Ergebnis zusätzlich gleich im Kontext des betreffenden Mails anzeigen lassen. Über eine Art Zoom-Slider kann dabei definiert werden, wie groß das jeweils dargestellte Zitat sein soll.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Besonders hilfreich erweist sich die Indizierung bei der Erstellung neuer Nachrichten, hier geht der Compose Sidebar den BenutzerInnen hilfreich zur Hand. Mithilfe dessen lassen sich nämlich die lokal gesammelten Daten flott durchsuchen und z.B. Bilder, Dokumente oder auch Links aus anderen Mails einfach per Drag & Drop in neue Nachrichten einfügen.

Möglichkeiten

Zusätzlich bedient man sich aber auch des Datenpools diverser Webservices. So ist es etwa möglich schnell den Wikipedia-Eintrag zu einem Thema zu referenzieren, oder die Adresse eines Unternehmens - samt Google-Maps-Link - herauszusuchen. Auch Bilder vom eigenen Picasa-Account lassen sich rasch einfügen.

Archiv

Zu den weiteren Features von Postbox gehören eine Archivierungs-Funktion sowie diverse Anti-Phishing-Filter. Letztere werden selbsttätig im Hintergrund alle 30 Minuten aktualisiert, um den BenutzerInnen einen bestmöglichen Schutz zu bieten.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Einige Dinge vermisst man bei Postbox derzeit allerdings noch: So gibt es keinen Kalender, und da die Software - im Gegensatz zu Thunderbird - keine externen Add-Ons ermöglicht, lässt sich ein solcher auch nicht nachrüsten. Zusätzlich wäre die Option auf eine vereinheitlichte Inbox für mehrere Accounts wünschenswert.

Fazit

Auch wenn es sich bei der aktuellen Vorversion von Postbox noch um eine frühe Beta handelt, so zeigt diese doch bereits einige interessante Ansätze. Mit seiner starken Anbindung an Webservices erinnert das Ganze konzeptionell etwas an den Firefox-Ableger Flock, bleibt abzuwarten, ob Postbox ein größerer Erfolg beschert sein wird. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 15.02.2009)

Screenshot: Andreas Proschofsky