Der Oberste Gerichtshof muss seit 2006 in Strafsachen 31 Prozent mehr Fälle bearbeiten. Gleichzeitig wurde eine Planstelle gekürzt. Es drohen monatelange Verzögerungen bei Verfahren - Von
Roman David-Freihsl

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Wien - "Der Oberste Gerichtshof in Not": Mit diesem Thema ging OGH-Präsidentin Irmgard Griss am Mittwoch erstmals offensiv an die Öffentlichkeit. Die Rechnung ist ganz einfach: "Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug am OGH bisher drei bis sechs Monate", so Griss. Gleichzeitig explodierte allerdings der Arbeitsanfall in Strafsachen in den Jahren 2006 bis 2008 um 31 Prozent. Hatten die obersten Richter 2006 noch 719 Straffälle zu bearbeiten, waren es im Vorjahr bereits 942. Gleichzeitig gab es auch bei Grundrechtsbeschwerden einen Anstieg von 28 Prozent.

Mehr Personal gefordert

Die Folge: Wenn nicht personell nachjustiert wird, "ist damit zu rechnen, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer um einige Monate länger dauern wird", warnt die OGH-Präsidentin. "Wir sind bisher an die Grenzen unserer Kapazität gegangen - jetzt sind wir in arger Bedrängnis", ergänzt OGH-Vizepräsident Ronald Rohrer.

Derzeit hat der OGH 57 Richter: Elf davon sind im Strafrechtsbereich eingesetzt. Und trotz der enormen Arbeitssteigerung sei im Vorjahr eine Planstelle bei den Strafrichtern gestrichen worden.

"Eklatant unterbesetzt" sei der Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiter am OGH im nationalen und internationalen Vergleich. Denn auch diese Mitarbeiter, die Fälle inhaltlich aufbereiten, werden dem OGH als Richterplanstellen zur Verfügung gestellt.

Sechs bis sieben Planstellen

Um die inhaltliche und zeitliche Qualität der Verfahren sicherzustellen, will Griss jedenfalls zwei zusätzliche Planstellen im Strafrechtsbereich sowie "vier bis fünf Planstellen für das wissenschaftliche Evidenzbüro" beantragen.

Steigerung des Arbeitsaufwandes

Die Steigerung des Arbeitsaufwandes ist übrigens nicht auf einen entsprechenden Anstieg der Straftaten in den Jahren 2006-2008 zurückzuführen. "Sieht man sich die Kriminalitätsstatistik an", gebe es keinen Anstieg der Delikte in gleichem Ausmaß, betont Kurt Kirchbacher, OGH-Sprecher für Strafsachen. Zum einen gebe es in der Gesellschaft ein "höheres Rechtsschutzbedürfnis". Gleichzeitig kamen neue Aufgaben dazu: Laut der EU-Menschenrechtskonvention muss es nun auch eine nationale Instanz für Grundrechtsbeschwerden geben - eben den OGH. Die Zahl der Verfahren beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg ist laut Kirchbacher im Gegenzug deutlich zurückgegangen.

Verurteilungen Österreichs in Straßburg habe es im Bereich der Medien in Sachen Recht auf freie Meinungsäußerung gegeben, so Griss. Beispielsweise hatte die Anwältin Maria Windhager im Jahr 2006 drei Beschwerden nach Urteilen nach FPÖ-Klagen gegen den Standard in Straßburg gewonnen.

Personalnot am Oberlandesgericht

Unter Personalnot leidet aber auch das Wiener Oberlandesgericht: Friedrich Forsthuber und Johannes Jilke vom OLG forderten am Mittwoch zehn zusätzliche Planstellen. Andernfalls könnten Anträge von Verbrechensopfern auf Fortführung von Verfahren liegen bleiben - und Fälle verjähren. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD Printausgabe 12.2.2009)