Gleich zwei in künstliche Euphorie verpackte Siegesreden bekamen die Israelis keine vier Stunden nach der Schließung der Wahllokale zu hören, aber im Grunde gab es nur Verlierer. Benjamin Netanyahu hatte einen uneinholbar scheinenden Vorsprung noch verspielt und es nicht geschafft, seinen rechtskonservativen Likud zur stärksten Partei zu machen. Zipi Livni hatte auf der Zielgeraden zwar noch ein atemberaubendes Überholmanöver hingelegt, die zentristische Kadima hat aber ihre bisherige Stellung als einzig mögliche große Regierungspartei eingebüßt, und Livni hat trotz des optischen Erfolgs nüchtern betrachtet sehr schlechte Chancen, Premierministerin zu werden. Der rechte Polterer Avigdor Lieberman hat sich zwar tatsächlich auf den dritten Platz gesetzt, ist von den prophezeiten 18 oder 19 Mandaten aber doch weit entfernt.

Am schlimmsten hat es aber die früher so mächtige Arbeiterpartei getroffen, die mit ihren 13 Mandaten fast nichts mehr mitzureden hat.
Zugleich wurde auch die Linksunion Meretz, die mit Paradepferden wie dem Schriftsteller Amos Oz einen Relaunch als „Neue Bewegung" versucht hatte, beinahe vom politischen Tisch gewischt. Die Wahlen 2009 haben jenen Niedergang der israelischen Linken besiegelt, der im Jahr 2000 mit dem Ausbruch der Intifada begonnen hatte - unter ebenjenem Ehud Barak, der damals Premier war und jetzt glaubte, das Publikum habe vielleicht schon vergeben und vergessen, dass die Rezepte der Linken mit dem Oslo-Prozess der 1990er-Jahre schon ausprobiert worden waren, aber in ein Blutbad geführt hatten. Ariel Sharon erfand dann den „Unilateralismus", also den Rückzug aus dem Gazastreifen ohne Verhandlungen. Der Schritt führte zum Bruch Sharons mit dem Likud und zur Entstehung der Kadima, erwies sich aber als Fiasko, weil die Hamas den Gazastreifen übernahm und Israel seither mit Raketen beschießt.
Das brachte nun wieder die Rechte zurück, obwohl die natürlich auch keine neuen Ideen vorzulegen hat. Schließlich wurde ja auch der Weg der Rechten - Festhalten an Territorium und Vermehrung der jüdischen Siedler - schon versucht und hat in eine Sackgasse geführt.
Im Wahlergebnis drückt sich also wieder einmal die tiefe Ratlosigkeit der Israelis aus, die sich einerseits mehrheitlich längst mit einem Palästinenserstaat abgefunden haben, sich aber andererseits davor fürchten, weil sie in den vergangenen 14 Jahren aus jenen Gebieten, aus denen sie abgezogen waren, prompt wieder angegriffen wurden. Die unklaren Wahlausgänge haben in Israel ja eine lange Tradition.

Selbst der viel bewunderte Yitzhak Rabin etwa konnte einen der Oslo-Teilverträge im Parlament nur mit einer Mehrheit von einer einzigen Stimme durchbringen. Die Lähmung entspricht also, so seltsam das klingt, offenbar dem Wählerwillen. Auch die Kadima, die laut Tageszeitung Ha'aretz ein „Phänomen" ist, weil sie schon längst wieder zerfallen sein müsste und doch wieder die meisten Stimmen bekommen hat, lässt sich nur dadurch erklären, dass Livni genau die Mitte besetzt hält, wenn sie zugleich „Stärke gegen den Terror" und einen „Fortschritt im Friedensprozess" verspricht.
Freilich, der „Friedensprozess" ist eine Worthülse geworden, der Livni auch durch ein Jahr der Verhandlungen mit den Palästinensern keinen Inhalt geben konnte. Wer immer nun die Regierung bilden wird, die Mehrheit haben in Israel jetzt wieder jene, die nach Ramallah und Gaza schauen, auf der palästinensischen Seite „keinen Partner" sehen und nichts Besseres wissen, als abzuwarten. Spannend ist die Frage, ob US-Präsident Barack Obama tatsächlich etwas Besseres weiß. (DER STANDARD, Printausgebe, 12.2.2009)