Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Beispiel für innovatives Design findet die Konsumpsychologin Simonetta Carbonaro in der Limonadenmarke Bionade. Sie sieht darin die Entwicklung eines Produkts, die weit über bloße Kosmetik für eine Marke hinausgeht.

Foto: AP/Joerg Sarbach

STANDARD: Wie wird sich die Rolle des Designs angesichts der Weltwirtschaftskrise verändern?

Carbonaro: Die Krise läutet die Ära der Verantwortlichkeit ein. Der Konsument ist heute nicht nur kompetenter und anspruchsvoller, sondern auch viel kritischer. Das führt zu einem bewussteren Konsumieren. Design wird allmählich wieder als Instrument verstanden, das die Ästhetik der Ethik zum Ausdruck bringen kann. Design wird so nicht nur zum Mittel des "Scheins", sondern auch des "Seins", also der eigenen Identität.

STANDARD: Design ist also gezwungen, spürbar Neues zu schaffen, anstatt Trends aufzublasen?

Carbonaro: Ja. Weiters etabliert sich Design in Bereichen, in denen es lange nicht vertreten war. Ich spreche von Design als strategischem Instrument der Markenführung nach innen. Also weg von der bloßen Kosmetik für die eigene Marke und hin zur Auseinandersetzung mit den wahren und Waren-Werten eines Unternehmens. Im doppelten Sinne also. Diese Bewegung schlägt sich im Design nieder und strahlt auch nach außen.

STANDARD: Was werden die Stardesigner dazu sagen?

Carbonaro: Aber die sind doch gar nicht mehr bezahlbar. Die Zeiten des arroganten "Le marketing, c'est moi" der Stardesigner und berühmten Branding-Agenturen gehen zu Ende. Es gibt eine neue Generation von jungen, wilden und hochkreativen Designern.

STANDARD: Sie propagieren eine Abkehr der Menschen von postmoderner Träumerei hin zu einem "nüchternen Glücksempfinden" wie Sie es nennen. Carbonaro: Das Marktschreierische der Spaßgesellschaft beginnt, in uns das Gegenteil wachzurütteln. Es geht um einen maßvolleren Umgang mit den Dingen, es wird poetischer, transparenter, authentischer und nachhaltiger. Sagen wir, es geht um ein Design, das sagen kann, was es ist.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel nennen?

Carbonaro: Ja, Bionade ist so ein Produkt. Da geht's nicht nur um das Packaging, sondern um die ganze Entwicklung eines Produkts, das den Wandel unseres Zeitgeistes darstellt. Das ist Innovation.

STANDARD: Wenn man heute in Geschäfte geht, sieht man das Warenangebot betreffend keine großen Unterschiede zum Jahr davor.

Carbonaro: Ja, und deshalb sind die Geschäfte auch immer leerer. Ich war vor einer Woche im Berliner Kaufhaus KDW, dem Konsumtempel schlechthin. Es war Freitagmittag und - abgesehen von einigen Russinnen - war der Laden leer.

STANDARD: Aber zu Weihnachten ging in den Geschäften noch die Post ab.

Carbonaro: Zu Weihnachten gibt es keine Rezession. Das ist ein Carpe-diem-Phänomen. Wenn die Welt untergeht, wollen wir im Hier und Jetzt die letzten Rituale, die uns übriggeblieben sind, zelebrieren.

STANDARD: Und welche Produkte haben in Zukunft die Nase vorn?

Carbonaro: Einerseits wird für industriell gefertigte Massenprodukte möglichst wenig ausgegeben, andererseits gibt man für ganz besondere, vielleicht in Handarbeit gefertigte Design-Stücke sehr viel aus. Das wissen auch die jungen Designer, die immer mehr auch als Unternehmer denken. Es kommt die Zeit der Designer als Nischenanbieter für die das Internet integraler Bestandteil ihrer Geschäftsstrategie ist. Das wird nicht nur umsatzmäßig an Bedeutung gewinnen. Diese Leute werden auch zu einem wichtigen Beschäftigungsmotor unserer postindustriellen Gesellschaften, gerade weil ihr Geschäftsmodell nicht auf die Nutzung von Skaleneffekten ausgerichtet ist. Das ist epochal.

STANDARD: Es gibt sehr viele Bereiche des Designs. Welcher ist besonders bedroht?

Carbonaro: Jener, der sich als Handlanger des traditionellen Marketings versteht. Das Design, das von der Marketingabteilung ein ganz präzises Briefing erhält, steckt am Ende in einer Zwangsjacke.

STANDARD: Ein Beispiel?

Carbonaro: Das gilt für die meisten Produkte. Die Frage wäre umgekehrt leichter zu beantworten.

STANDARD: Und zwar?

Carbonaro: Der iPod, der wurde nicht von der Marketing-Abteilung entwickelt. In einem weltweit erfolgreichen Möbel-Konzern, den ich seit den 90er-Jahren berate, gibt es überhaupt keine Marketingabteilung. Es gibt nur horizontales "Leadership" und die strategische Mitarbeit von Produktentwicklern und Designern.

STANDARD: Wie verändert die Wirtschaftskrise Ihr persönliches Leben?

Carbonaro: Sie bringt immer mehr Beratungsarbeit und immer mehr Studenten in meine Vorlesungen. Ich bin seit 20 Jahren in diesem Bereich eine Art Kassandra.

STANDARD: Das heißt, für Sie bringt die Krise durchaus Positives?

Carbonaro: Nein, mich freut diese fehlgeschlagene Entwicklung der Wirtschaft natürlich nicht. Ich hätte mich lieber getäuscht. Dazu kommt, dass ich langsam ein bisschen Angst vor der vielen Arbeit bekomme, denn ich möchte, dass unsere Firma klein, aber fein bleibt. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.02.2009)