Fritz Grünbaum (re.) vor dem Eingang zur "Hölle" (ca. 1908).

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Wien - Noch vor dem Wechsel ins 20. Jahrhundert erblühte in Wien eine intellektuelle jüdische Kultur, die mit immensem Schaffensdrang von der "Hölle" und der "Fledermaus" ausgehend die Bühnen des gesamten deutschsprachigen Raums eroberte - und im Zweiten Weltkrieg Exil in Paris oder Schanghai fand. Wien könnte dieses Jahr 120 Jahre jüdisches Kabarett feiern - zumindest von der Armin-Berg-Gesellschaft wird dieses Jubiläum mit einem Festival im Wiener LEO auch gebührend begangen.

Die Arbeit von Marie-Theres Arnbom und Georg Wacks, den Köpfen der Gesellschaft, die die alten Kabarettprogramme wissenschaftlich aufarbeitet und sich zugleich um Aufführungen dieser großteils vergessenen Arbeiten bemüht, begann 2003. Damals entdeckten Wacks und Arnbom die Fülle an Noten und Texten der Wiener Kabarettisten, die in den Archiven schlummern: Arbeiten von Armin Berg, Fritz Grünbaum, Heinrich Eisenbach und anderen.

Am ergiebigsten sei die Recherche im Zensurarchiv des Niederösterreichischen Landesarchivs, erzählt Arnbom: "Jedes Theater, das einen Text aufführen wollte, musste ihn bei der Zensur einreichen. Manchen Grünbaum-Text findet man dort in mehreren Varianten." Erstaunlich ist, "wie unterschiedlich die Texte zensiert wurden".

Wertvoll für die Armin-Berg-Gesellschaft ist auch das detaillierte Register des Zensurarchivs, das exakt vermerkt, wann und wo ein Programm gespielt wurde. Daraus lassen sich viele Schlüsse über den Alltag der Künstler ziehen, die an einem Abend oft mehrere Auftritte in unterschiedlichen Varietés absolvierten - und davor oft sogar noch in einer Operette gespielt haben: "Ich frage mich, wann die geschlafen haben, denn tagsüber haben sie natürlich geschrieben - und sind im Kaffeehaus gesessen!" , sagt die Kulturwissenschafterin Arnbom, die nun die Ausstellung "120 Jahre jüdisches Kabarett" im LEO kuratierte und ein gleichnamiges Buch herausgab.

Für den "praktischen" Teil der Kabarett-Aufarbeitung - Theater lebt schließlich nur auf der Bühne - ist Georg Wacks verantwortlich. Er will die geborgenen Programme "nicht im musealen Sinne" aufführen, sondern heutige Spielweisen finden: "Ich möchte das Publikum vom Geist her so unterhalten wie die Originalkünstler" . Dazu müssen die Texte ein wenig aktualisiert werden: Tagespolitische Bezüge müssen gestrichen, heikle Themen anders einmoderiert werden.

Wacks: "Es gibt durchaus Textstellen, die man heute als rassistisch oder antisemitisch empfinden würde - und die es damals auch waren und trotzdem anders empfunden wurden. Jüdische Kabarettisten haben sich teilweise über sich selber und ihr größtenteils jüdisches Publikum lustig gemacht. Damals hat das jeder verstanden, heute wäre es problematisch." Wie ihm diese Gratwanderung gelingt, ist in mehreren Programmen im Rahmen des Festivals noch bis 1. März zu sehen. Etwa in Wacks' Armin Berg Revue gleich dieses Wochenende. (Isabella Hager, DER STANDARD/Printausgabe, 11.02.2009)