Zumindest der Dylans Arzt kennt es. Genauer gesagt die unintendierten Folgen seiner Ausübung. ES. Eine ansonsten hierzulande eher unbekannte Art Sport: der Ball eiert und wird von wenig zarten Kerls über das Spielfeld getragen, während andere alles daransetzen den Besitzer des Spielobjekts zu Boden zu bringen. Manchmal finden sich die Spieler der gegnerischen Teams überraschend zusammen, um eine Art menschliche Höhle zu formen. In diese verschwindet dann das Ei, um nach gehörigem Hin- und Hergeschiebe an dem einen oder anderen Ende der lebenden Struktur wieder ans Licht zu kommen. Möglicher Weise. Des Rätsels Lösung heißt: Rugby. (Hier findet sich eine einführende Regelkunde für Rugby Union.)

Schattenhafte Existenz

Dylan Whiting seufzt ein bisschen. Über einen zu großen Bekanntheitsgrad könne sich sein Lieblingsspiel in Österreich nicht gerade beklagen. Und ja, Blessuren kommen vor. Eher öfter als selten. Aber so hart sei Rugby nun auch wieder nicht, Verletzungen häufig die Folge mangelnder Technik und Körperbeherrschung der Spieler. Dylan ist Österreicher mit neuseeländischen Wurzeln und spielt für Vienna Celtic RFC, den ältesten Klub des Landes – 2003 steht das 25. Gründungsjubiläum an. Insgesamt 400 Spieler sind in Österreich registriert, es gibt einen Verband (ÖRV, seit 1990) und auch ein Nationalteam. In den Zurich World Rankings, der Weltrangliste der im International Rugby Board vertretenen 89 Nationen, liegt Österreich an 53. Stelle.

Ein Größenvergleich zeigt, dass noch viel Basisarbeit zu leisten bleibt: In der Südsee-Republik Fiji etwa, deren Mannschaft bezüglich Spielstärke im internationalen Mittelfeld (Ranglistenplatz 13) anzusiedeln ist, erreicht die Zahl der Aktiven rund 60.000. Und das bei einer Bevölkerungszahl von rund 800.000. Als eines seiner Hauptziele nennt der ÖRV denn auch die Rekrutierung weiterer Interessierter, sowie die Ausbildung von Trainern und Referees. Der Verband ist nicht als Mitglied der Bundes-Sportorganisation (BSO) anerkannt und erhält folglich keinerlei Unterstützung aus Mitteln der Sportförderung. Voraussetzung dafür wäre unter anderem eine Mindestanzahl von Vereinen (15) und Mitgliedern (900), sowie die Existenz von Landesverbänden. Es gibt jedoch nicht einmal ein permanent bespielbares Spielfeld, auch verfügt der ÖRV über keine eigenen Räumlichkeiten.

Familiärer Meisterschaftsbetrieb

In der höchsten österreichischen Spielklasse treten ganze drei Mannschaften gegeneinander an, neben Celtic sind auch RC Donau und der Rugby Club Lycée Français du Vienne in Wien beheimatet. Sechs weitere Klubs aus den anderen Bundesländern bilden die zweite Leistungsstufe. Die Frage, ob es überhaupt so etwas wie einen offiziellen Meister gibt, bringt Dylan etwas in Verlegenheit. Eigentlich könne er das nicht so genau sagen, man spiele halt gegeneinander und am Ende der Saison gibt es einen Ersten. Der heißt zumeist Donau, die eindeutig stärkste Mannschaft und ausschließlich aus Österreichern gebildet.

Vor dem Ernstfall: Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls

Celtic blieb aufgrund seiner Entwicklungsgeschichte lange ein Sammelbecken der anglophonen Diaspora. Man schwankte zwischen Ambition und geselligem Beisammensein, das Vergnügen und das Bier sollten nicht zu kurz kommen. Mit dem neuen französischen Coach Gael Mouysset, der auch das Nationalteam unter seinen Fittichen hat, sei nun aber der notwendige Fokus in ein zu oft ins Laisser-Faire abgeglittenes Training zurückgekehrt, erzählt Dylan. Zwei Mal pro Woche trifft man sich am "Wasserpark" in Wiens 21. Bezirk, dort gibt es den einzigen Platz Österreichs mit permanenten Rugbytoren. Für die Teamspieler kommt noch eine dritte Einheit dazu. Selbstverständlich sind alle im 35-köpfigen Kader Amateure, die Zuwendungen der Sponsoren reichen bloß zur Aufrechterhaltung des Spielbetriebs. Mit eines der größten Probleme war die hohe Fluktuation im Spieler-Pool. Nicht selten kam während der spielfreien Zeit die halbe Mannschaft abhanden – keine idealen Voraussetzungen für kontinuierliches Arbeiten. Dazu fehlt der Unterbau von Jugendlichen, Spielermangel war somit der Normalzustand.

Rugby hierzulande ist die Sache von wenigen Enthusiasten geblieben, die Verbreiterung der Basis und der Strukturaufbau kommen trotz aller Begeisterung nur langsam voran. Dylan meint, es sei noch nicht gelungen, eine österreichische Rugbykultur zu etablieren. In Nachbarländern wie Tschechien sei das etwas anders, dort existiere ein Kern, klein zwar aber immerhin, von altgedienten einheimischen Spielern. Da klingt es fast paradox, wenn er erzählt, ausgerechnet in Wien wieder zum Rugby zurückgefunden zu haben. In England war er während eines beruflichen Aufenthalts nicht glücklich geworden: Corpsgeist und Initiationsriten à la Public School vermengen sich dort zu einer Atmosphäre, die nicht jedem zuträglich ist. Dagegen gehe es in Österreich wohltuend relaxed zu.

Zu neuen Ufern

Gael Mouysset und Kapitän Gareth Briggs sind für die Zukunft vorsichtig optimistisch. Bei Celtic herrsche so etwas wie Aufbruchsstimmung, man habe eine Reihe williger Junger an Bord – aus denen könne etwas werden. Jetzt heißt es üben üben und nochmals üben, denn was vor allem fehlt ist Erfahrung. Ein Rugbyteam funktioniert nur auf der Basis von Ordung und Disziplin und es dauert seine Zeit, bis die (funktional viel stärker als etwa im Fußball differenzierten) Formationen der Mannschaft eine halbwegs harmonische Einheit bilden. Celtic jedenfalls wolle sich in dieser Saison als zweite Kraft hinter Donau etablieren. Die Mehrzahl der Spieler sind jetzt Österreicher und er wäre nicht traurig, sollte es in ein paar Jahren keine "Expats" mehr bei Celtic geben, sagt der Neuseeländer Briggs. Die Fortschritte im österreichischen Rugby seien zwar zögerlich, aber doch sichtbar. Und er erzählt vom U14-Bewerb, den fünf Wiener Schulteams austragen. Mousset freut sich über ganze vier Minuten, die das ORF-Fernsehen letzthin einem Match der Nationalmannschaft gewidmet hat.

Am besten ignorieren: der Gegner im Begriff sein Punktekonto mittels Erhöhung aufzufetten.

Rugby ist kein glamouröser Sport. Ehrfurcht heischende Beigaben wie Helme oder Schulterschoner? Cheerleader gar? Schnickschnack. Es gibt es keine Show, dafür aber viel Sportsgeist. Solche Bodenständigkeit bewährt sich insbesonders bei Gelegenheiten, in denen sich die Welt darin gefällt, Widrigkeiten über einen hereinbrechen zu lassen. Wie geschehen bei einem Testmtatch von Celtic an einem bitterkalten Samstag Mittag auf dem ASKÖ-Sportplatz in der Wiener Vorstadt. Da auf dem bereits eigenhändig markierten Hauptfeld ein unterklassiges Fußballspiel ansteht, muss auf den kleinen holprigen Trainingsacker ausgewichen werden – kein Murren. Gegner Slavia Prag steckt im Verkehr fest und trifft erst mit gehöriger Verspätung ein – was soll's. Die Malstangen bloß vorgestellte Verlängerungen des Fußballtores – kein Thema. Sobald die Tschechen umgezogen sind: Begrüßung und los.

"Sorry, Sir"

Für den an Fußball(un)sitten gewohnten Beobachter am beeinduckendsten: der disziplinierte Ablauf der Begegnung. Die ungeheure physische Intensität stellt hohe charakterliche Ansprüche an die Spieler – andernfalls würde das Ganze unvermeidlich in ein gewalttätiges Chaos abgleiten. Während der gesamten 80 Minuten wird keine einzige Entscheidung des Schiedsrichters (für die im übrigen beim Rugby der Ermessenspielraum ein weitläufiger ist) auch nur ansatzweise in Frage gestellt. Und so rau die Spieler mit ihresgleichen verfahren, der Referee wird mit ausgesuchter Höflichkeit bedacht: Ein Lineout (Einwurf von der Seitenlinie) einen Meter von der angewiesenen Stelle entfernt? "Sorry, Sir!"

Die Partie läuft nicht gut für Celtic. Prag legt Versuch nach Versuch, eigene Punkte bleiben Fehlanzeige. Und sogar das treue Stammpublikum – Frauen, Freundinnen und Verwandte der Spieler – hat diesmal witterungsbedingt ausgelassen. Ein applaudierendes Spielerspalier erweist nichtsdestotrotz am Ende dem haushohen Sieger die Reverenz. "Das war zu erwarten", keucht Flankenspieler Dylan. "Nächste Woche wird es besser gehen." Da beginnt die Meisterschaft gegen Lycée. Vorbeikommen kostet übrigens nichts. Wirklich.