Niccolo Ammaniti
Die Herren des Hügels. Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann.

€ 20,50/253 Seiten.
Bertelsmann, München 2003.

Foto: Buchcover

Hochsommer 1978 in Aqua Traverse: Ein verlorenes Kaff irgendwo im Süden von Italien ist wie ausgestorben. Die Erwachsenen haben sich vor der unmenschlichen Hitze in ihre Häuser verkrochen. Draußen streunt die übliche Ansammlung hirnloser bis brutaler Burschen umher. Sie üben sich in Rangkämpfen und Aufschneidereien und stacheln sich gegenseitig zu allerlei Mutproben an. Zum Beispiel in die Ruine eines Hauses gehen, die sie gerade entdeckt haben. Michele fällt dort auf eine abgedeckte Grube und findet in der Grube einen verdreckten, halluzinierenden Burschen. Dass seine eigenen Eltern in ein Verbrechen verwickelt sind, ahnt Michele noch nicht, aber er verschweigt seinen Fund und besucht heimlich den halb verhungerten und verdursteten Gefangenen, der dabei ist, seinen Verstand zu verlieren.

Die Erwachsenen, die die Entführung geplant haben, sind keine abgebrühten Verbrecher, sondern die geborenen Loser, so wie Micheles Vater, der sich abrackert und plötzlich die Möglichkeit sieht, vielleicht auch einmal zu Geld zu kommen. Aber alles das wird nicht dezidiert ausgesprochen. Aus der Perspektive eines Kindes, die den ganzen Roman hindurch beibehalten wird, verschieben sich Realität und Wertigkeiten. Arme Menschen haben keine Zeit für Sentimentalitäten. Wer in den 80er-Jahren immer noch ohne Wasserleitung und Telefon lebt, ist abgeschrieben. Arme Menschen leisten sich auch keine moralischen Betrachtungen, es reicht höchstens für jämmerliche Ausbrüche und Streitereien, wer von den Entführern nun die Geisel erschießen soll, als die Gefahr einer Entdeckung zu groß wird.

Micheles Verhältnis zu seinem Vater ist ambivalent. Einerseits will er geliebt werden, andererseits nimmt er sich vor seinem Erzeuger instinktiv in Acht. Er versteht nicht viel, ahnt aber eine Menge.

All das erzählt der 1966 geborene, in Rom lebende Ammaniti scheinbar einfach, ohne je die Vorstellungswelt eines Dorfbuben zu verlassen. Aber es gelingt ihm, eine gottverlassene Gegend lebendig werden zu lassen, die aus vergangenen Jahrhunderten zu stammen scheint. Die endlosen, unter der Hitze knisternden Kornfelder, das gnadenlose Licht, die Einsamkeit der sich selbst überlassenen Kinder, die in ihrem eigenen Universum leben, erzeugen einen hypnotisierenden Sog, schrecklich und poetisch zugleich.

In Die Herren des Hügels befasst sich Ammaniti wie in seinem hochgelobten Roman Fort von hier abermals mit der Welt der Kinder und Heranwachsenden. Es scheint, als hätte er hiefür eine besondere Begabung. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 8./9.3.2003)