Feinabstimmungen bei der Probe: Karin Beier inszeniert mit Nicholas Ofczarek als Sigismund "Das Leben ein Traum"  am Burgtheater.

 

 

Foto: Werner

Wien - Die Probenarbeiten zu Pedro Caldéron de la Barcas Das Leben ein Traum - die barocke Königskomödie hat kommenden Sonntag am Wiener Burgtheater Premiere (19 Uhr) - nennt Regisseurin Karin Beier "krankheitszersetzt" . Sich selbst hat die Intendantin des Kölner Schauspiels mit Antibiotika gefüttert. Jetzt kratzt sie auf dem Wochenspielplan, den ihr eine Assistentin vorlegt, letzte Zeitreserven zusammen. "Wir alle sind kräftemäßig am Limit" , haucht Beier. Das hat mit der maßlosen Verbreitung aktueller Krankheitserreger zu tun - liegt aber auch am Stück.

In seinem Fürstenspiegel trennt der spanische Barockdichter Caldéron ein Menschenkind von seiner "natürlichen" Bestimmung ab. Weil die Sterne die Bösartigkeit seines Erben geweissagt haben, wirft König Basilius den Thronfolger, Prinz Sigismund (Nicholas Ofczarek), in ein Turmverlies. Da die natürliche Erbfolge aber sichergestellt bleiben muss, entschließt man sich zu einem sozialen Experiment: Man versetzt die geschundene Kreatur mithilfe von Schlafmitteln zurück in das ihr vorenthaltene Umfeld.

Geist der Rebellion

Sigismund reagiert erwartbar böse - aus seinen Kraftentladungen erwachsen Aufruhr und Revolution. Regisseurin Beier sieht sich, wie sie ohne Umschweife zugibt, mit einem "gedanklichen Konstrukt" konfrontiert: "Caldéron stellt die Frage nach dem richtigen, dem ,wahren‘ Leben." Wieder wird dem armen Sigismund ein Schlaftrunk kredenzt. Doch der Geist der Rebellion will nicht mehr zurück in die Flasche. Es ist vielmehr ein katholisches Wunder, dass der siegreiche Sigismund am Schluss des um 1635 entstandenen Dramas Barmherzigkeit übt und im Geiste der barocken Tugendpflege ein paar sehr willkürliche Staats- und Hygieneentscheidungen trifft (Stichwort: Eheschließungen).

Wäre es da nicht gleich besser gewesen, Hugo von Hofmannsthals Turm aufzuführen? In seiner Fortschreibung des Sigismund-Stückes wirft der Rodauner Dichter ein paar letzte, untröstliche Blicke auf das Chaos der anbrechenden Moderne. Frau Beier verneint: "Es war von vornherein die klare Ansage des Burgtheaters: Machen Sie in Klaus Bachlers letzter Spielzeit Caldérons Leben ein Traum, ja oder nein? Etwas anderes ist gar nie zur Debatte gestanden." Mit Caldérons Die Tochter der Luft wurde die Amtszeit Bachlers 1999 eröffnet; mit barockem Welttheater schließt sich hiermit der Kreis.

Sigismund, dieser frühe Bruder des mysteriösen Kaspar Hauser, weiß nach allen Wechselfällen des Lebens nicht mehr, ob er wacht oder träumt. Es liegt nun an Beier, den artig paargereimten, rhetorisch höchst aufwändigen Stoff (Textfassung: Soeren Voima) auf den Boden nachvollziehbarer Tatsachen zurückzuholen: "Solche Herausforderungen katapultieren einen weiter! Das Stück ist ein gedankliches Konstrukt. Die Behandlung philosophischer Fragen auf dem Theater ist ja so eine Sache. Also versuchen wir, ,radikal‘ zu sein in der Formerfindung."

Der Politiker hat immer Recht

Caldéron lässt sich nicht psychologisch packen. Beier: "Eine Menschwerdungsgeschichte wird anhand einer Metapher exemplarisch erzählt. Man könnte aber auch sagen: Der König fühlt sich durch den Thronfolger in seiner Macht bedroht." Durch den Hintereingang schlüpfe die Psychologie wieder herein: "Die leibhaftige Bedrohung wird weggesperrt. Und bevor es die sogenannte Presse erfährt, veröffentlicht man die Frohbotschaft lieber gleich selbst. König Basilius verhält sich wie ein moderner Politiker: Egal, was passiert, er behält immer recht. Entgleist Sigismund, so sagen alle: Er hat recht gehabt! Sperrt das Tier wieder weg!"

Prinz Sigismund ist somit das Produkt eines Sozialisationsprozesses. Die Utopie des freien Willens erzeugt Willkürakte - und bewirkt einen politisch desaströsen Wirklichkeitsschwund. Man gewinnt das Gefühl, Karin Beier möchte einen Stier an den Hörnern packen. So wie sie das Kölner Schauspiel in eineinhalb Spielzeiten auf Vordermann gebracht hat: "Wir zählen aktuell rund 85 Prozent Auslastung! Jetzt muss der Apparat nur noch zusammengeschweißt werden."

Karin Beier, eine Karyatide der Ära Bachler, eilt davon. Der barocke Kosmos muss erst noch zusammengezimmert werden. Dann geht es wieder zurück in die Karnevalsstadt am Rhein. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.2.2009)