"In den heißen Ländern reift der Mensch früher, erreicht aber nicht die Vollkommenheit der temperierten Zonen. Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften."

Die Niederschrift eines Vordenkers für die nationalsozialistische Rassenhygiene? Eines Sozialdarwinisten? Mitnichten! Der Name des Verfassers steht bis heute für kritisches und aufgeklärtes Denken, mehr noch: für Sittenlehre schlechthin. Das Zitat stammt von Immanuel Kant, aus seinen 1802 verfassten Schriften zur Anthropologie. Ähnliches Denken findet sich auch in Abhandlungen anderer Philosophen wie etwa Johann Gottlieb Fichte, Wilhelm Friedrich Hegel und François Marie Voltaire.

Rassendenken ist eng verknüpft mit Imperialismus, hatte sich Ende des 18. Jahrhunderts in Europa durchgesetzt, war salonfähig. Doch das Fundament jener Rassenideologie, die später von den Nazis dankbar aufgenommen werden sollte, geht in erster Linie auf ein Werk des 19. Jahrhunderts zurück: auf Charles Darwins vor 150 Jahren veröffentlichtes Hauptwerk Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl.

Darwin lieferte mit seinem formulierten Selektionsprinzip den Ausgangspunkt dafür, das evolutionäre "Survival of the Fittest" - den Begriff hat er übrigens vom Journalisten und Philosophen Herbert Spencer entlehnt - auf eine rassisch determinierte menschliche Gesellschaft, auf eine soziale Gruppe umzulegen: Sozialdarwinismus entstand zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, der zunehmenden Verarmung und der gleichzeitigen Entstehung der ersten staatlichen Armen- und Behindertenheime.

Dabei basiert der Sozialdarwinismus aus heutiger Sicht auf einem antidarwinistischen Konzept, nämlich der Hemmung der Auslese: Notwendige Selektion komme in der modernen Gesellschaft nicht mehr zur Geltung. Humanität, medizinischer Fortschritt und soziale Reformen würden Arme, Kranke, Schwache, Behinderte - also sogenannte Minderwertige - schützen und der natürlichen Auslese entziehen. Die derart interpretierte Evolutionstheorie von Darwin wurde ausgerechnet von seinem Cousin Francis Galton vertreten.

Geistige Vererbung

Darwins 1859 erstmals erschienenes Hauptwerk inspirierte den 1822 geborenen Naturforscher, Geografen und Meteorologen Galton, sich mit den Grundlagen der Vererbungslehre zu befassen. Galton wandte als erster empirische Methoden auf die Vererbung geistiger Eigenschaften, vor allem der Hochbegabungen, an. Sein bekanntestes Werk, Hereditary Genius (1869), gilt als Vorläufer der Verhaltensgenetik.

Seine Erkenntnisse über die Vererbung von Merkmalen übertrug Galton auch auf das menschliche Denkvermögen und führte den Begriff der Eugenik ein, worunter er eine Lehre verstand, die sich das Ziel setzt, durch "gute Zucht" den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu vergrößern. Schon 1883 veröffentlicht Francis Galton eine folgenreiche Schrift, wonach sowohl physische als auch psychische Merkmale vererbt würden. Und da sich die Träger "minderwertigen" Erbgutes rascher fortpflanzten als andere, hätten die Staaten die Aufgabe, durch "eugenische Maßnahmen" die Verschlechterung der Erbanlagen der Gesamtbevölkerung zu verhindern: Aussonderung von Gewohnheitsverbrechern, Ehe- und Fortpflanzungsbeschränkung für Behinderte. Galtons Ideen wurden von der in London gegründeten "Eugenic National Society" erweitert, 1911 wurde Eugenik als Unterrichtsfach an Universitäten eingeführt.

Die Institutionalisierung dieser Idee an Hochschulen und in außeruniversitären Gesellschaften Kontinentaleuropas fand zuerst in der Schweiz statt. Am radikalsten entwickelte sich die sozialdarwinistische Eugenik - die zunächst "nur" Asylierung und Unfruchtbarmachung vorsah - als "Rassenhygiene" in Deutschland: Da der "Erfolg" bisheriger eugenischer Maßnahmen erst nach Generationen sichtbar, die "Aufzucht" einer "hochwertigen Rasse" also zu lange dauern würde, sprach sich der Arzt Alfred Ploetz als Erster öffentlich für die Tötung "missratener" Individuen aus. Schon ab 1924 entstanden "Gesellschaften für Rassenpflege" in Graz, Linz und Wien. (fei/DER STANDARD, Printausgabe, 04.02.2009)