Vorauers Empfehlungen aus dem Lehrerfilmgenre: "Entre les murs" ("Die Klasse"), "Elephant", "Half Nelson" und "Der Wald vor lauter Bäumen".

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Julia Roberts als Mrs. Watson im Film "Mona Lisas Lächeln".

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Wie werden Lehrerfiguren im internationalen Spielfilm dargestellt? Als Helden oder Gescheiterte? Diese Frage stellten sich die Pädagogen Markus Vorauer und Ulrike Greiner und schrieben ein Buch darüber. Ergebnis: zwischen europäischen und US-amerikanischen Filmen gibt es große Unterschiede. "Die Sicht auf Schulsysteme ist im europäischen Film differenzierter und kritischer", sagt Markus Vorauer. Im Interview mit derStandard.at erzählt er, warum "Der Club der toten Dichter" kritisch zu betrachten ist und was LehrerInnen von Spielfilmen lernen können.

derStandard.at: Warum ein Buch über Lehrerfiguren im internationalen Spielfilmen?

Vorauer: Lehrer zählen neben Rechtsanwälten und Journalisten zu den meist dargestellten Berufsgruppen in Filmen. Das Material zum Thema war so umfangreich, dass wir die Analyse auf US-amerikanische und europäische Filme eingeschränkt haben. Insgesamt haben wir ungefähr 550 Filme angesehen; bearbeitet haben wir dann letztendlich 30 von diesen.

Außerdem haben gewisse Modelle des Hollywoodkinos eine so große Wirkungskraft, dass sich das nicht nur im Konsum äußert, sondern auch in den Lehr-Curricula abbildet. Es werden unbewusst Lehrmethoden übernommen, natürlich nicht eins zu eins.

derStandard.at: Wie werden Lehrer in den Filmen dargestellt?

Vorauer: Wir haben festgestellt, dass Hollywood-Kino sehr stark den Helden forciert. Auch wenn der Film für den Lehrer vielleicht negativ ausgeht, ist er trotzdem aufgrund der poetischen Gerechtigkeit der Held. Klassisches Beispiel dafür ist "Der Club der toten Dichter". Ein Film, der bei Lehrern sehr beliebt ist. Den haben wir einer sehr kritischen Analyse unterzogen, weil wir glauben, dass dort gewisse Sichtweisen transportiert werden, die sehr typisch für die US-amerikansche Gesellschafts- und Sozialpolitik sind: Der Held kommt an sein Ziel und bleibt im Endeffekt Sieger.

Im europäischen Film – auch wenn natürlich zeitweise Muster von US-amerikanischen Filmen übernommen werden – ist der Lehrer meistens Gescheiterter. Die Sicht auf die Schulsysteme und die Wirkungskraft des Lehrers ist in europäischen Filmen bedeutend kritischer und differenzierter.

derStandard.at: Welche Eigenschaften werden denn Lehrern in Filmen zugeschrieben?

Vorauer: Der "gute Lehrer" ist einer, der ein sehr stark personalisiertes Curriculum hat, also sehr stark mit Schülern agiert und sich auf der Seite der Schüler befindet. Meistens agiert er deshalb gegen das System, Vorgesetzte und Kollegen sind ihm gegenüber oft negativ eingestellt. Er individualisiert und personalisiert seinen Unterricht – er ist ein Freund der Schüler, könnte man plakativ sagen.

Der "böse Lehrer" arbeitet systemimmanent. Er tut das, was Vorgesetzte sagen, und straft Schüler. Diese klassischen "Typen" hat man sehr lange Zeit in den Filmen gesehen. In Europa wurden in der letzten Zeit einige Filme gedreht, wo es die Opposition Gut-Böse nicht mehr gibt. Der französische Film "Entre les murs" ("Die Klasse") zeigt das sehr gut. Der Lehrer agiert manchmal pädagogisch vorbildlich, manchmal macht er aber auch gravierende Fehler.

derStandard.at: Mit welchen Problemen werden LehrerInnen in Filmen konfrontiert?

Vorauer: Natürlich gibt es öfter Probleme in der Interaktion mit dem Schülern. Aber ich würde sagen, wenn man die Filme Revue passieren lässt, sind es eigentlich mehr Systemfragen, mit denen Lehrer Probleme haben: also Streit mit Vorgesetzten, falsche Unterrichtsmethoden, Probleme mit Konkurrenten und Mobbing. Filme beginnen oder enden oft mit einer Versetzung – ein klassisches Muster, das immer wieder zu finden war. Entweder wird der Lehrer am Schluss versetzt, von einem System eliminiert und in ein anderes integriert. Oder er wird am Anfang in eine Schule mit sozialen Brennpunkten versetzt, wo niemand mehr unterrichten will.

Wenn ich mir meine Berufskarriere ansehe, muss ich auch sagen: Ich habe mit dem System mehr Probleme, als mit den Schülern. Viele glauben aber, dass Probleme im Schulbereich Lehrer-Schüler Probleme sind. Das ist meiner Ansicht nach nur in den seltensten Fällen der Fall.

derStandard.at: Gibt es Unterschiede zwischen dem Bild des Lehrers und der Lehrerin?

Vorauer: Absolut. Lehrerinnen werden erst Ende der 60er Jahre zu Hauptfiguren in Filmen. Davor waren Lehrerinnen eigentlich nur Nebenfiguren oder Sexualobjekt für einen männlichen Lehrer. In Western kommen viele Frauen in der Rolle der Lehrerin vor, spielen aber immer nur Statistenrollen.

Weibliche LehrerInnen werden sehr häufig positiv gezeigt. Sie nehmen auch oft eine Mutterrolle ein.

derStandard.at: Waren Sie von Ergebnissen der Filmanalyse überrascht?

Vorauer: Es gibt natürlich Filme von großen Regisseuren, die immer wieder überraschen. Das hängt weniger mit dem Thema zusammen, sondern mit der Handschrift dieser Regisseure. Mit der formalen Qualität und inhaltlichen Durchdringung des Themas. Im Großen und Ganzen muss man aber feststellen, dass das Lehrerfilmgenre ein sehr Konservatives ist. Es ist kein Genre, dass sehr viele Möglichkeiten für filmische Innovationen zulässt. Die Filme funktionieren sehr häufig nach demselben dramaturgischen Muster.

derStandard.at: Mit welchem Lehrerbild welchen Filmes identifizieren Sie sich selbst als Lehrer am meisten?

Vorauer: Natürlich soll und muss man eine Distanz zu filmischen Figuren wahren, wenn man sie analysieren will. Aber natürlich gibt es Figuren, die gewisse Verhaltensweisen zeigen, mit denen man sich identifizieren kann. Dazu zählt zum Beispiel der Lehrer vom Film "Die Klasse". Der zwingt Schüler im Unterricht permanent zur Versprachlichung, was natürlich unweigerlich zu Konflikten führt. Da gibt es schon Szenen in dem Film – natürlich nicht alle – wo ich mir denke: So könnte eine Interaktion mit Schülern aussehen, die sie dazu bringt, autonom zu werden und ihre Meinung kundzutun. Und das ist, wie dieser Film gut zeigt, sehr mühsam. Ein permanenter Kampf. Der Lehrerberuf ist eben einer, in dem man täglich scheitert, aber trotzdem immer weitermachen muss.

derStandard.at: Können Lehrer von Spielfilmen etwas lernen?

Vorauer: Ja, absolut. Klarerweise sind Spielfilme ein völlig anderes Material als Aufzeichnungen der eigenen Unterrichtsbeobachtung. Aber gerade der Spielfilm macht vieles, das latent ist, bewusst. Von diesem Standpunkt her werden Filme, wie ich finde, viel zu wenig in der Lehrerausbildung genutzt. Wir haben zum Beispiel im Buch ein Kapitel über Sexualität und Tod in Lehrerfilmen. Das sind totale Tabuthemen. Die erotische Anziehung zwischen Lehrern und Schülern ist ein Thema, das in der Realität extrem tabuisiert ist, aber sehr wohl unbewusst eine Rolle spielt. (Teresa Eder/derStandard.at, 3.2.2009)