Henry Hogger: Es ist nirgends eine Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie abzulesen.

Foto: Robert Newald

Wien - „Wer spricht für den Islam? Was eine Milliarde Muslime wirklich denken" (in Buchform auf Englisch erschienen) und das „Muslim West Facts Project" sind zwei Gallup-Studien, die den sonst Ungehörten Gehör verschaffen sollen: muslimischen Durchschnittsbürgern in islamischen Ländern und im Westen.

Und siehe da, es gibt gar keinen „homo islamicus", der so ganz anders tickt wie der Rest der Menschheit. So könnte man die Studienergebnisse ganz banal zusammenfassen. Muslime träumen nicht vom Jihad, sondern vom besseren Job.
Gerade weil sie gängigen Klischees - etwa von der Inkompatibilität von islamischer Religiosität und demokratischer Einstellung oder der Vorstellung von Gewaltakzeptanz unter Muslimen - widersprechen, hält das Gallup-Institut die Daten für so wichtig, dass es sich mit der „Coexist Foundation" zusammengetan hat, um sie zu verbreiten. Das hat Henry Hogger, einen britischen Exdiplomaten, als einen von zwei „Special Representatives" des Projekts nach Wien gebracht - mitten in die hiesige Islam-Debatte hinein.
Gallup kann mit Umfragen in London, Paris und Berlin aufwarten (mit relativ kleinen Samples, aber signifikanten Ergebnissen, d.h. über der Schwankungsbreite). Eine der Schlüsselfragen ist die nach der Identifikation der Befragten mit Religion und Land, wobei bei Gallup die Frage aber nicht ausschließend gestellt wird.

Ja zum Staat

Zuerst scheint alles nach Erwartung abzulaufen: „Religion" bekommt höhere Werte als „Land" und höhere Werte als bei Nichtmuslimen. Dann präsentiert Hogger im Standard-Gespräch Überraschungen, Beispiel London: Im Vergleich zur nichtmuslimischen Bevölkerungen spielt für die britischen Muslime ihre Verbundenheit zum Staat eine größere, keine kleinere Rolle. Hogger: „Religiöse und nationale Identität ergänzen einander, sie stehen nicht im Widerspruch zueinander."
Übrigens nennen auch Muslime in der islamischen Welt den Islam zuerst, ohne sich den Vorwurf nationaler Illoyalität einzuhandeln. Hogger macht darauf aufmerksam, dass auch in den USA fünfzig Prozent von befragten Nichtmuslimen die Religion in ihrer persönlichen Bedeutung vor dem Staat reihen. Keiner würde sie deshalb als schlechte Staatsbürger bezeichnen.
Bei Muslimen im Westen ist weiters auch das Vertrauen in die (demokratischen) Institutionen stärker ausgeprägt als bei Nichtmuslimen (64 : 36 in London) oder die Präferenz einer „gemischten Gesellschaft".

Völlig perplex hinterlässt einem im ersten Moment die Antwort nicht so sehr der Muslime, sondern der Nichtmuslime auf die Frage, ob Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von „noblen Zielen" moralisch zulässig sei: 81 Prozent der Muslime lehnten in London ab - aber nur 72 Prozent der Nichtmuslime. Hogger erklärt das durch den Prozentsatz jener Briten, die dem (unter britischer Beteiligung geführten) Krieg im Irak zustimmen.
Aber in Berlin ist die Diskrepanz noch größer: 94 Prozent der Muslime sagen Nein, aber nur 75 Prozent der Nichtmuslime. In Paris stimmt das Klischee, aber nur knapp: Dort liegen die Nichtmuslime mit 79 Prozent Gewaltablehnung vor 77 Prozent der Muslime, unter der Schwankungsbreite. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2009)