Wer dürfte schon von sich sagen, dass er wisse, wer er sei? Webfiguren mit Pfiff im Grazer Schauspielhaus.

Foto: Manninger/Theater Graz

Graz - "Bei mir ist die Menschenzeit schon zu Ende, und wir haben jetzt die Orgzeit", sagt @linka. Sie existiert in einem Raum-Zeit-Gefüge, das mit der Realität nur vereinzelte Schnittstellen aufweist. In einem Weblog. Weblogs gibt es in den unendlichen Weiten des Netzes mittlerweile unübersichtlich viele. Auf allen Sprachen zu jedem Lebensbereich machen Menschen anonym oder sozusagen "authentisch" ihre Notizen einem unübersehbaren Publikum zugänglich.

Dorota Maslowska, 26-jähriger Literatur-Shootingstar aus Polen, bediente sich in einem legendären polnischen Blog, der übersetzt "wirkinderdesnetzes" heißt, und machte daraus ein gleichnamiges Stück, das nun am Grazer Schauspielhaus Uraufführung feierte.

Die wahrscheinlich weibliche Bloggerin @linka, deren wahre Identität nicht bekannt ist, ist also die eigentliche Autorin der schrägen Texte, die zwischen Sciencefiction, Comedy, böser Satire und Schulmädchen-Tagebüchern Haken schlagen. Maslowska montierte sie zu einem rasanten Stück über Identitäten und die Grenzen von Imagination und Authentizität (Übersetzung: Olaf Kühl).

Wirklich beeindruckend ist aber auch die Leistung der Regisseurin Christina Rast, die das virtuelle Medium in jenes des Theaters sensibel und voller Überraschungen übersetzte. Denn während heute Videoeinspielungen und Computeranimationen bereits in jedem zweiten Stück eingesetzt werden, ohne dass dies dramaturgisch oder sonst wie unbedingt nötig wäre, rücken bei Rast der Text und das sorgfältig geführte, fulminante Spiel von Franz Solar, Sebastian Reiß, Alexander Rossi und Thomas Frank in den Mittelpunkt.

Zurück in den Guckkasten

Auf ermüdende Multimedia-Elemente verzichtend, baute die Schwester der Regisseurin, Franziska Rast, einen stilisierten großen Bildschirm, der den vier @linkas als altmodische kleine Guckkastenbühne auf der Probebühne des Schauspielhauses dient.

Doch so, wie es ein Leben jenseits des Internets - für die meisten Menschen jedenfalls noch - geben soll, so springen auch die vier Akteure immer wieder aus dem Kasten heraus. Oder sie lassen jemanden in ihren Blog wie in das eigene Wohnzimmer, um vermeintliche Nähe herzustellen, die trotz der Netzschranken gefährlich werden kann. Rast entwarf vielschichtige Bilder für die vielen Ebenen der Kommunikation.

Die Schauspieler tragen anfangs silbrige Latexmasken, die ihren Betrachter reflektieren, einem den eigenen Blick zurückwerfen. Um das Spiel mit Identitäten, das immer auch eine Suche nach dem eigenen Ich ist, auszuführen, wechseln die vier mit gleichbleibender Energie von der grell geschminkten Göre zum alternden Kinderschänder, vom Internetfreak zur einsamen Lesbe. Alle bleiben - in identischen Kostümen - gleich lange im Mittelpunkt, reden miteinander oder mit sich selbst. Denn alle sind @linka - oder eben nicht. "Ich bin's" behaupten ihre T-Shirts alle. Das Publikum glaubte ihnen und applaudierte lange und lautstark - viele positive Postings wären das wohl im Netz gewesen. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD/Printausgabe, 03.02.2009)