Rom - Als Davide Sonnino am vergangenen Montag wie gewohnt sein Geschäft im römischen Viale Libia öffnen wollte, versuchte er vergeblich, die Tür aufzusperren. Das Schloss war mit Silikon verklebt. Wie Sonnino mussten sich zahlreiche jüdische Kaufleute im Viertel um die Piazza Bologna erst an Schlosser wenden, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Die an Schaufenster und Wände geschmierten Parolen erinnerten an unselige Zeiten: "Juden raus".

Für die Aktion zeichnete die rechtsextreme Organisation "Militia" verantwortlich, die die Wände der Hauptstadt regelmäßig mit antisemitischen Sprüchen verschmiert. In einem der aggressiven Slogans, die eine Länge bis zu 20 Meter erreichen, wurde der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Riccardo Pacifici, aufgefordert, "ohne Rückfahrt nach Auschwitz zu reisen."

Nur wenige Tage vorher hatte die kleine Handelsgewerkschaft Flaica dazu aufgerufen, die jüdischen Geschäfte der Hauptstadt zu boykottieren. "Der Appell richtet sich an rechts und links", so der Vorsitzende Giancarlo Desiderati. "Wir können zu den Ereignissen in Gaza nicht schweigen." Die Proteste gegen die Militäraktion, bei denen mehrfach israelische Fahnen verbrannt wurden, heizten die Diskussionen um den wachsenden Antisemitismus im Mutterland der katholischen Kirche weiter an. Die prominente Journalistin Lucia Annunziata verließ aus Protest gegen die "krasse Einseitigkeit" die politische Talkshow "Annozero" des bekannten Journalisten Michele Santoro.

Der von der RAI gerüffelte Moderator sprach von "Zensurversuchen" und wies den Vorwurf des Antisemitismus vehement zurück. In Mailand weigerte sich die jüdische Gemeinde, am 27. Jänner an der Holocaust-Gedenkfeier teilzunehmen, um "politischer Vereinnahmung" vorzubeugen. "Es ist paradox" - so der Vorsitzende Leone Soued - "aber das Shoa-Gedenken dient traurigerweise immer mehr als Vorwand für antisemitische Aktionen." (mu/DER STANDARD, Printausgabe, 31.1./1.2.2009)