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Nikotin drosselt den Appetit kurzfristig, langfristig beeinflusst es aber die Fettverteilung im Körper und lässt zu viel ungesundes Bauchfett entstehen.

Foto: AP/Roberto Pfeil

Mark Twain meinte einst: "Zu rauchen aufhören ist ganz leicht. Ich habe es schon tausend Mal gemacht." Ein handfester Grund, warum Raucher und Raucherinnen heute erst gar nicht mit dem Rauchen-Aufhören anfangen wollen, ist die große Angst vor Gewichtszunahmen. Nichtraucher, dafür aber dick? Nur das nicht. Eine Studie, die die Deutsche Krebshilfe zusammen mit der Deutschen Angestelltenkrankenkasse durchgeführt hat, ergab, dass jedes dritte rauchende Mädchen zwischen elf und 20 Jahren glaubt, dass man vom Rauchen abnimmt, 35 Prozent sagen, sie würden lieber rauchen als essen.

Aber stimmt der Mythos vom Zunehmen? "Nikotin greift massiv in den Stoffwechsel ein, beeinflusst Insulinspiegel, Blutdruck, Verdauung und Herzschlag, und es dauert eine Zeit, bis sich das System ohne Nikotin wieder normalisiert hat", sagt Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Instituts für Suchtforschung in Wien. Im Durchschnitt nähmen Raucher, die aufhören, zwei bis drei Kilogramm zu, so Musalek. Die Gesundheitspsychologin Patricia Göttersdorfer von der Med-Uni Wien bestätigt das, doch wäre bei den meisten die Gewichtszunahme nach drei bis vier Monaten wieder weg. "Raucher, die Gewichtsprobleme hatten, haben sie auch als Nichtraucher, es geht also darum, sich prinzipiell langfristige Strategien zurechtzulegen."

Warum man zunimmt

Für die Gewichtszunahme nach Nikotin-Stopp gibt es konkret zwei Gründe. Der eine ist physiologischer Natur und liegt darin begründet, dass der Körper durch Zigarettenkonsum etwa 200 Kilokalorien pro Tag mehr verbrennt, das entspricht etwa dem Kaloriengehalt eines Jogurts. Zudem hemmt Nikotin den Appetit, weil es die Hunger stimulierenden Neuropeptide im Gehirn für kurze Zeit blockiert. Zigaretten beeinflussen aber auch den Zuckerhaushalt des Körpers. Sie verhindern die Ausschüttung von Insulin, der Prozess der Unterzuckerung wird verlangsamt, man hält es länger ohne Essen aus. Fehlt das Nikotin, erlebt man deshalb in der ersten Phase des Nichtrauchens Heißhungerattacken.

Erlerntes wieder verlernen

Neben den rein physiologischen Auswirkungen sind es aber vor allem Verhaltensmuster, die zu einer Gewichtszunahme führen. "Nichtrauchen macht nicht dick, aber Essen macht dick", bemerkt Musalek lapidar. Wer das Verlangen nach Rauchen durch Essen ersetzt und sich statt einer Zigarette zwischendurch Snacks in den Mund schiebt, die vielleicht noch dazu sehr fett oder zuckerhaltig sind, darf sich nicht wundern, wenn die Waage auch mehr Kilos anzeigt.

Der Ernährungsexperte Christian Matthai stellt für die Gewichtszunahme von Neo-Nichtrauchern eine klare Rechnung an. Kein Nikotin heißt 200 Kilokalorien pro Tag mehr, macht 1400 Kilokalorien pro Woche und 5600 Kilokalorien mehr im Monat. Wer zum Beispiel am Monatsende in der Bilanz 7000 Kilokalorien mehr zu sich genommen hat, bringt ein ganzes Kilo mehr auf die Wage. So die Theorie. Matthais schneller Nachsatz: "Das beste Mittel dagegen ist regelmäßige Bewegung, und das Beste wäre, wenn das Nichtrauchen mit einer Lebensstiländerung einhergeht." Matthai hat dazu gerade sein neues Buch "Change - das Lifestyle-Abnehmprogramm" im Kneipp-Verlag vorgestellt. Die Rechnung funktioniert nämlich auch umgekehrt: Eine halbe Stunde Walken verbraucht 180 Kalorien, Radfahren 220, Ski-Langlauf 320 und Joggen sogar 440 Kalorien.

Apropos Fettverbrennung: Bei neuen Nichtrauchern regelt sich auch die Fettverteilung im Körper vollständig neu. "Rauchen macht Bauchfett. Durch die Stoffwechselbelastung verteilt sich Fett im Körper von Rauchern anders als bei Nichtrauchern", verweist Manfred Neuberger vom Institut für Umwelthygiene und Nichtraucherschutz der Universität Wien auf neue Studien. Bauchfett ist nicht nur unästhetisch, sondern auch sehr belastend für das Herz-Kreislaufsystem, den Hormonhaushalt und die Wirbelsäule.

Erfolgreiches Nichtrauchen braucht allerdings Strategie. "Am besten, man beginnt noch während des Rauchens und versucht eingefahrene Verhaltensmuster - etwa die Zigarette beim Frühstückskaffee - erst einmal zu überspringen", sagt Neuberger, denn so wie man das Rauchen gelernt hat, muss man es auch wieder verlernen. "Gewohnheiten entkoppeln", nennt es Neuberger.

Wer dem Nikotin endgültig abgeschworen hat, sollte für schwache Momente immer eine Exit-Strategie parat haben: statt der Zigarette viel Wasser trinken, zuckerfreien Kaugummi kauen, bewusst durchatmen, eine Karotte essen. Schwer Nikotin-Abhängigen hilft Nikotinersatz. Ganz wichtig in den ersten Wochen sei es, so Neuberger, "die Hände zu beschäftigen".

Notfall-Pläne

"Wer aufhört zu rauchen, sollte darauf achten, niemals und vor allen nicht in der Früh unterzuckert zu sein," sagt auch die Psychologin Alexandra Stummer von der Rauchertelefon-Beratung. Aus Erfahrung kennt sie die Knackpunkte, an denen Menschen rückfällig werden, etwa Lebenskrisen. Gefährlich, so Stummer, sei in Sachen Nikotinentzug der dritte Tag, langfristig dauert es drei Wochen, bis der Körper ohne Nikotin gut zurechtkommt. Drei Monate vergehen, bis eingefahrene Verhaltensmuster durch andere ersetzt sind.

Die Gesundheitspsychologin Patricia Göttersdorfer steht Rückschlägen allerdings sehr gelassen gegenüber. "Je öfter ich aufhöre, umso höher sind die Erfolgschancen", sagt sie. Denn ganz allgemein im Kampf gegen jede Sucht - und Nikotin ist eine Substanz, die stärker und schneller als jede andere zu Abhängigkeit führt - gilt: Vier von zehn Süchtigen schaffen es, mit Unterstützung sind es acht von zehn, aber langfristig wieder vier. "Jeder muss erst einmal erfahren, ob er genauso gut im Aufhören wie im Nicht-Wiederanfangen ist und sich rechtzeitig Unterstützung suchen", sagt Göttersdorfer. Ihre Kollegin am Rauchertelefon Alexandra Stummer sagt: "Wir brauchen rund sechs Gespräche pro Entwöhnung, wer einen Plan, eine Strategie und Unterstützung in schwachen Momenten hat, schafft es auch ohne Gewichtszunahme." (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2009)