Auf dem direkten Weg zum Ziel übersieht man leicht Hindernisse. Das gilt insbesondere im Film noir, in dem es kaum Gerade gibt und trügerische Erinnerungen oder falsche Schlüsse zusätzlich irritieren. Detour (1945) liefert dafür einen eindringlichen Beleg: Ein Mann bricht auf zu seiner Geliebten, von Osten nach Westen; unterwegs wird er durch Zufall zum Mörder und gerät in die Hände einer erpresserischen Kriminellen.
Der Film - gerade mal über eine Stunde lang und in aller Eile gedreht - ist in seinem Fatalismus fast einzigartig in der Geschichte des US-Kinos. Die darin vorherrschenden Motels, Bars und Diners, die Warteräume der Nachkriegszeit, entwerfen ein Zeitbild des Landes, das die Filmwissenschafterin Vivian Sobchak einmal als "lounge time" bezeichnet hat - raumzeitliche Einheiten, die vom Verlust eines sicheren Heims erzählen, vom Ende der Privatheit.
Der Regisseur des Films heißt Edgar Georg Ulmer, gebürtig in Olmütz in Mähren, ein jüdischer Emigrant, der schon in den 20ern nach Hollywood ging. Kontinuität ist etwas, das man nicht nur in Detour, sondern in seinem gesamten Werk vergeblich sucht. Dabei begann seine Laufbahn viel versprechend: Er wirkte an Robert Siodmaks Menschen am Sonntag mit, in den USA gar an F. W. Murnaus Sunrise, allerdings in unbedeutenderen Funktionen, als er anzugeben pflegte.
Die wenigen, die ihn für sich entdeckten, vor allem die Cahiers du cinéma-Kritiker, schätzten ihn als Autor innerhalb der allerbilligsten Form: als König der B-Movies. Disparat, alle Genres mehr oder weniger souverän bedienend, ist dieses Schaffen, und insofern ist es auch nicht einfach, so etwas wie eine persönliche Handschrift auszumachen.
Offenes Duell
In einem seiner frühen Filme, The Black Cat (1934), für Ulmers Verhältnisse eine Großproduktion, finden sich noch Spuren des expressionistischen Kinos (und Hinweise auf seine österreichische Herkunft): Boris Karloff erscheint hier erstmals als Schatten an der Wand, das Duell, das er sich in einer Art-déco-Villa mit Bela Lugosi liefert, verläuft sprunghaft und offen - und das Production-Design drängt sich manchmal in den Vordergrund.
Es sind einzelne Szenen, bisweilen ist es nur eine Kameraeinstellung, die seine Filme plötzlich aus den Angeln heben: Im Leichenkeller löst sich in The Black Cat die Kamera von den Figuren und schwebt wie ein befreiter Geist durch den Raum. "Ein erstes Beispiel jenes Kults des leeren Raumes, der auch in späteren Ulmer-Arbeiten manifest werden soll", schreibt der Filmpublizist Stefan Grissemann dazu in seiner - und der überhaupt ersten - Ulmer-Biografie Mann im Schatten (Zsolnay Verlag), die begleitend zur Reihe erschienen ist.
Tatsächlich scheinen die Filme nur spärlich bevölkert: In Beyond the Time Barrier (1960), einem späten SciFi-Film Ulmers, gibt es dafür eine schöne Szene, wenn der Pilot, der ins Jahr 2024 geflogen ist, gleich einem Kriegsheimkehrer nur noch Baracken vorfindet, wo gerade noch der Flughafen stand.
Kaum einer der Helden Ulmers ist in einem Milieu fest verankert - Detour liefert dafür in seiner ruhelosen Bewegung gewiss das markanteste Beispiel. Aber selbst Horace Vendig, der raffgierige Karrierist aus Ruthless (1948), ein Mann aus zerrütteter Familie, der sich sukzessive in höchste gesellschaftliche Kreise vorarbeitet, bleibt seiner Umgebung fremd - er trägt ihre Attribute wie eine Verkleidung.
"He was no man, he was a way of life", heißt es darin so treffend über Vendig. Eine Rückblende, die seinen unaufhaltsamen Aufstieg aufrollt, während in der Rahmenhandlung nur ein einziges Streichholz verbrennt, führt den amerikanischen Traum als pathologisches Besitzstreben vor: Denn Menschen behandelt Vendig wie Aktien, die man im richtigen Moment abstößt.
Ruthless, bisweilen als Ulmers Citizen Kane bezeichnet, ließ diesem mehr Freiheiten als gewöhnlich, was man durchaus auch sehen kann: Die Kamerabewegungen sind ausholender, der Rhythmus des Melodrams wirkt insgesamt geschmeidiger. Die Moral, die dieser Fabel zu Eigen ist, findet sich auch in anderen Arbeiten. Etwa in The Naked Dawn (1955), einem sehr privaten Technicolor-Western, der von einem Banditen (Arthur Kennedy) erzählt, der ein Paar im mexikanischen Grenzland fast auseinander treibt. Den Mann versucht er zum Verbrecher auszubilden, die Frau zu verführen.
Es bleibt allerdings unklar, wer hier der Bösewicht ist. Die Figuren sind komplizierter, eher Unglücksbringer als Täter. In The Naked Dawn führt Ulmer vor, dass er bei aller erzählerischer Ökonomie ganz deutliche Akzente setzt: Die Aktionen laufen ab, weil sie ablaufen müssen.
Die poetischen Momente finden sich daneben: eine Sterbeszene, bei der ein Kumpel dem anderen die Absolution erteilt, eine Frau, die sich in aller Ruhe wäscht. Da glaubt man dann fast, dass Ulmer vor allem die Hindernisse mochte.
(DER STANDARD, Printausgabe, 8./9.3.2003)