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"Friendly fire": US-Soldaten auf einem Außenposten in Ostafghanistan entspannen sich bei einer Schneeballschlacht. 12.000 weitere Soldaten will Washington bis zum Sommer entsenden.

Foto: Reuters/Bob Strong

Die Lage werde immer gefährlicher, doziert Barack Obama und spricht dabei über Afghanistan und das Erstarken der Taliban. Ohne Abstriche schließt sich der neue Präsident der Einschätzung seiner Militärs an. Am Mittwoch fuhr er zum Antrittsbesuch am Pentagon vor, um mit seinen Generälen über den Truppeneinsatz zu beraten.

"Unsere größte militärische Herausforderung ist Afghanistan, nicht mehr der Irak." Mit einem einzigen Satz hatte Verteidigungsminister Robert Gates zuvor im Streitkräfte-Ausschuss des Senats umrissen, wo die neuen Prioritäten liegen. Gates, der einzige Ressortchef der Bush-Riege, der unter Obama weitermachen darf, versuchte erst gar nicht, das düstere Bild aufzuhellen. In einer Deutlichkeit, wie man sie in der Öffentlichkeit noch nie erlebte, sprach er von Fehlern, überzogenen Erwartungen und Naivität.

Die Vereinigten Staaten, so die Quintessenz seiner Analyse, hätten nicht genug Soldaten in Afghanistan stationiert, um in den unberechenbarsten Gebieten im Süden und Osten auch nur ein Mindestmaß an Sicherheit zu garantieren. Das Vakuum werde von den Taliban gefüllt. Und was immer es früher an Beschwörungen blühender Landschaften gab, müsse man drastisch korrigieren. "Wenn wir uns das Ziel setzen, dort drüben eine Art zentralasiatische Ruhmeshalle zu errichten, dann werden wir verlieren" , sagte Gates. "Dafür haben wir weder die Zeit, noch die Geduld, noch das Geld."

Klar ist, dass Obama die Truppen verstärken wird und auch von den Nato-Verbündeten in Europa neue Anstrengungen verlangt, wichtige Details sind aber noch offen. Dem Kandidaten Obama schwebte einst vor, das Kontingent binnen zwei Jahren von derzeit 34.000 auf 60.000 GIs aufzustocken. Jetzt kündigt das Pentagon lediglich an, bis zum Sommer 12.000 zusätzliche Soldaten entsenden zu wollen. Alles Weitere lasse sich erst am Jahresende entscheiden, zumal ein größeres Heer neue Kasernen und eine verbesserte Infrastruktur brauche.

Scharfe Kritik an Karsai

Parallel dazu drängt Washington die afghanische Zentralregierung, mehr Verantwortung zu übernehmen. Der Ton wird schärfer. Hamid Karsai, der zwar als Präsident in Kabul residiert, aber im Rest des Landes kaum Einfluss hat, ist nicht mehr der Darling des Weißen Hauses, der gefeierte Vorzeigepolitiker, der er unter George W. Bush war. Bush beraumte alle zwei Wochen Videokonferenzen mit dem eloquenten Verbündeten an, John McCain gewann Karsai sogar dafür, seiner Vizekandidatin Sarah Palin einen Crashkurs in Sachen Krisendiplomatie zu geben. Unter Obama wird es nüchterner zugehen - weniger Show, mehr Substanz.

Richard Holbrooke, früher Bosnien-Vermittler und UN-Botschafter, heute Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan, soll Karsai dazu bringen, dass er die Korruption stärker bekämpft. Aus amerikanischer Sicht ist es die fatale Mischung aus Bestechlichkeit und florierendem Drogenhandel, die die 2001 besiegten Taliban eine Renaissance feiern lässt. Als Joe Biden, mittlerweile Vizepräsident, Mitte Jänner von einer Reise in die Krisenregion zurückkehrte, fasste er die Realität in drei Worten zusammen: "Ein einziges Chaos." (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 29.1.2009)