Nelli Farnholz ist eine prototypische Künstlerin. Die gebürtige Grazerin studierte an der Akademie der bildenden Künste bei Anton Lehmden und Hubert Schmalix. Ihre Malerei finanziert sie durch Gebrauchsgrafik. Die Wirtschaftskrise kostete sie bereits einen Auftrag. Sie hat gute Freunde, die ihr Geld borgen - und viel Pech: Aus ihrer letzten Ausstellung wurden drei Bilder gestohlen.

Foto: Nelli Farnholz

Die Kulturministerin kennt die Ergebnisse seit sieben Monaten. In vier Monaten will sie darüber diskutieren.

Wien – Bereits im Juni 2008 hatte die L&R Sozialforschung auf Basis von 1850 ausgefüllten Fragebögen ihren Rohbericht Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich fertig- und dem Kulturministerium zugestellt. Trotz der alarmierenden Zahlen, die sich mit dem Einkommensbericht des Rechnungshofs decken (siehe Artikel unten), passierte nichts: Die Studie blieb, wie Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen, kritisierte, "unter Verschluss".

Am 22.August präsentierte der Standard, dem die Studie zugespielt worden war, die wichtigsten Ergebnisse. Doch Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ) sah weiterhin keinen Handlungsbedarf: Sie kündigte an, erst zum Endbericht Stellung nehmen zu wollen, der für Oktober zu erwarten sei. Am 2. November – die Nationalratswahl war nun geschlagen – forderte Zinggl erneut die Veröffentlichung ein: Schmieds "Vogel-Strauß-Politik" nütze niemandem.

Da die Befragung der Künstlerschaft bereits Ende Februar abgeschlossen war, wurde gerätselt, was sich bei einem gleichbleibenden Sample, eben 1850 verwertbaren Fragebögen, am Befund ändern könnte. Nun, nach Studium des Endberichts, lässt sich sagen: Etliche Passagen wurden zwar etwas umformuliert, die Aussagen sind aber die gleichen geblieben.

Im letzten Kapitel des Endberichts ("abschließende Betrachtungen") fehlt der folgende Satz: "Insgesamt stellt sich die soziale Lage der Kulturschaffenden in Österreich im Vergleich zur Gesamtbevölkerung als vergleichsweise schwierig dar." Dass er gestrichen wurde, könnte an der vergleichsweise hatscherten Formulierung liegen. Denn der übernächste, sehr zentrale Satz überlebte die Korrekturphase: "Durch die Einnahmen aus der künstlerischen Tätigkeit können nur vergleichsweise wenige Kunstschaffende ihre finanzielle Existenz sicherstellen."

Und auch an der finanziellen Situation änderte sich nichts: Das mittlere Äquivalenzeinkommen (Pro-Kopf-Einkommen) beträgt 1000 Euro pro Monat. Es liegt damit deutlich unter jenem der Gesamtbevölkerung (1488 Euro) und nur knapp über der Armutsgefährdungsgrenze (893 Euro). Mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Kunstschaffenden verfügt über ein Einkommen unter dieser Grenze.

Die Armutsgefährdungsquote der Kunstschaffenden ist damit dreimal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung (12,6Prozent) und fünfmal so groß wie jene der Erwerbstätigen insgesamt (sieben Prozent). Keine Unterschiede gibt es bei den Einkommensnachteilen für Frauen: Wie in der Gesamtbevölkerung verdienen Künstlerinnen rund 30 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Aus der enormen Fülle an Fakten, die das Team Susanne Schelepa, Petra Wetzel, Gerhard Wohlfahrt und Anna Mostetschnig zusammengetragen hat, wurden aber viele noch nicht kommuniziert. Hier nun einige weitere:

Lediglich Schriftsteller haben in der Mehrzahl (zu 55 Prozent) keine spezifische Ausbildung. Generell aber weisen Kunstschaffende ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau auf: 89 Prozent der Musiker wie der Schauspieler und 80,5 Prozent der bildenden Künstler wurden spezifisch ausgebildet.

Hohe Akademikerquote

Rund 74 Prozent aller Befragten besuchten eine Universität, Akademie oder ein Konservatorium. Und von diesen haben etwa 80 Prozent ihre Ausbildung auch abgeschlossen. Die Akademikerquote beträgt in der Künstlerschaft daher hochgerechnet 43 Prozent – und ist ungleich höher als jene der Gesamtbevölkerung (acht Prozent). Das "hohe Qualifikationsniveau führt aber nicht automatisch", wie die Studienautoren notieren, in eine finanziell gesicherte Berufslaufbahn – ganz im Gegenteil.

Künstler zu sein muss man sich leisten können. Sprich: Man braucht ein Elternhaus, das diesen unkonventionellen Lebensweg ermöglicht. Die Hälfte der Väter übt höher- oder hochqualifizierte Tätigkeiten aus, nur 6,8 Prozent hingegen Hilfs- und angelernte Tätigkeiten. Im Bereich des kostenintensiven Films kommen signifikant weniger Künstler (19,2Prozent) aus bescheidenen Familienverhältnissen als im Bereich Literatur (40,6Prozent). Umgekehrt stammen 11,5 Prozent der Filmemacher und nur 2,9 Prozent der Literaten aus wohlhabenden Verhältnissen.

Der Anteil der Künstler aus bescheidenen Verhältnissen sinkt in den jüngeren Altersgruppen deutlich ab. Dieser Umstand spiegelt die größer werdende Mittelschicht wider; "gleichzeitig kann er auf einen schwieriger werdenden Zugang zum Kunstberuf für junge Menschen aus bescheidenen Verhältnissen hindeuten" – und davon sind vor allem Frauen betroffen.

Hohe psychische Belastung

Aufgrund des relativ geringen Einkommens und der immer wieder auftretenden Diskontinuitäten bekommen Künstlerinnen seltener Kinder als Frauen generell. Zudem sind finanzielle Schwierigkeiten kaum zu vermeiden. Mehr als 85 Prozent der Kunstschaffenden kennen dieses Problem. Die Folge: Zwei Drittel müssen zur Strategie "Einschränkungen im täglichen Leben" greifen, knapp die Hälfte überzieht das Konto, und jede vierte Frau benötigt die "Unterstützung durch Eltern, Bekannte, Freunde".

Die (schlechte) soziale Absicherung und das (geringe) Einkommen stellen für 56,7 beziehungsweise 52,5 der Kunstschaffenden eine hohe psychische Belastung dar. Im Bereich "soziale Absicherung" wiegt am stärksten die Sicherstellung einer solchen im Alter, gefolgt von der sozialen Absicherung bei Krankheit und Unfall sowie der Komplexität und Unübersichtlichkeit der sozialversicherungsrechtlichen Situation (viele leiden unter den Hürden des Künstlersozialversicherungsfonds, ein Drittel musste die Zuschüsse im Nachhinein zurückzahlen). Bildende Künstler sind weit häufiger als Literaten einem hohen Belastungsniveau ausgesetzt (30 versus 15,8Prozent), Frauen deutlich häufiger als Männer (31,4 versus 20,3 Prozent).

Geringes Wohlbefinden

Die insgesamt hohe Belastung wirkt sich natürlich auf die Zufriedenheit des Einzelnen aus: Nur jeder zehnte Kunstschaffende gab bei der Befragung ein hohes subjektives Wohlbefinden an; in der Gesamtbevölkerung weist hingegen ein Viertel ein solches auf. Beziehungsweise umgekehrt: Jeder zweite Kunstschaffende erachtet sein Wohlbefinden als gering – in der Gesamtbevölkerung aber nur jeder Vierte. Künstler sind also unglücklichere Menschen.

In der Studie machen sie jede Menge Vorschläge, wie ihnen geholfen werden könnte. Sowohl bezüglich der sozialversicherungsrechtlichen Situation (Arbeitslosenversicherung, Grundeinkommen, Abschaffung der Einkommensgrenzen, um die Künstlersozialversicherung in Anspruch nehmen zu können und so weiter) als auch im Förderbereich: Als vorrangige Anliegen werden die Erhöhung der Fördermittel, die bessere Information über die Förderprogramme, eine höhere Transparenz bei der Vergabe, das Abstellen von Freunderlwirtschaft und die Entbürokratisierung genannt.

Ministerin Schmied hätte also bereits im Juni 2008 erste Maßnahmen setzen können. Am 19. November, als sie den mit Oktober datierten Endbericht endlich ins Netz stellte, gab sie aber nur ein paar Versprechungen ab: Die Studie werde "Ausgangspunkt für Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen" sein, sie werde "intensiv mit den Experten im Kulturausschuss" diskutiert werden, am 26. und 27. Mai soll es eine Konferenz "zu diesem Thema" geben.

Sie hob zwar das Budget für den Künstlersozialversicherungsfonds um eine Million Euro an, gleichzeitig schob sie die Verantwortung ab. Denn die Studie zeige vor allem gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf auf. Entwicklungen wie Prekariat, Teilzeitjobs und neue Selbstständigkeit dürfe man nicht isoliert aus dem Blickpunkt der Kunst betrachten: "Wir müssen eine gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber führen", wie den Bürgern Elementarabsicherungen gegenüber Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter gegeben werde können. "Die Bundesregierung muss daher eine interministerielle Arbeitsgruppe einrichten." (Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe, 28.01.2009)