Moskau - Bei der am Dienstag beginnenden Wahl eines neuen Oberhauptes der russisch-orthodoxen Kirche hat Metropolit Kirill von Smolensk und Kaliningrad die besten Karten. Der derzeitige Statthalter der größten orthodoxen Kirche der Welt wurde am Sonntag von 97 der insgesamt 198 Erzbischöfe zu einem der drei Kandidaten gewählt.

Nun sind die 700 Delegierten der Landeskirchenversammlung am Zug, die sich bis Donnerstag in geheimer Abstimmung auf einen neuen Patriarchen einigen sollen. Die Amtseinführung ist für den 1. Februar angesetzt.
Der 62-jährige Kirill, der für die internationalen Beziehungen der russisch-orthodoxen Kirche verantwortlich ist, wurde zum interimistischen Oberhaupt bestimmt, nachdem der Moskauer Patriarch Alexi II. Anfang Dezember verstorben war. Unter Alexi II., der der russisch-orthodoxen Kirche seit 1990 vorstand, gewann diese wieder ihre Bedeutung zurück, die sie während des Kommunismus eingebüßt hatte. Alexi II. ließ tausende Kirchen wieder aufbauen und pflegte enge Kontakte zum Kreml.

Die Herausforderer des dank seiner zahlreichen Fernsehauftritte populären Kirill sind der konservative 59-jährige Metropolit Kliment von Kaluga und Borowsk, sowie der weißrussische Metropolit Filaret von Minsk und Sluzk. Sie erhielten von den Erzbischöfen 32 beziehungsweise 16 Stimmen. Experten rechnen damit, dass die Landeskirchenversammlung auch noch einen weiteren Kandidaten nominieren wird, der aus der ukrainischen Kirche stammt.

Staatsmacht stimmt mit

Obwohl Kirill von den Erzbischöfen die meisten Stimmen erhielt, ist nicht sicher, dass er auch der Favorit des Landeskonzils ist. Denn laut der Zeitung Kommersant werden außer den Geistlichen auch außergewöhnlich viele Vertreter der Staatsmacht und von Unternehmen stimmberechtigt sein. Russischen Medien zufolge hat Metropolit Kliment den besseren Draht zu russischen Führung.

Auf den neuen Patriarchen warten zahlreiche Herausforderungen. Wie die Feierlichkeiten zur 1020-Jahr-Feier der Christianisierung der Kiewer Rus im Juli 2008 zeigten, droht der russisch-orthodoxen Kirche die Abspaltung der ukrainisch-orthodoxen Kirche. Auch innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche steigen die Spannungen, die die Einheit der russischen Orthodoxie gefährden. Am Sonntag demonstrierten vor der Christus-Erlöser-Kirche radikale religiöse Gruppierungen gegen liberale Strömungen. Während Kirill für einen pragmatischeren Kurs der Kirche steht, gilt Kliment als Vertreter der Traditionalisten. (Verena Diethelm/DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2009)