Wien/Brüssel - Die Weigerung der österreichischen Regierung, Häftlinge aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo aufzunehmen, hat keine rechtliche Grundlage. Juristen widersprachen am Montag der Darstellung von Außenminister Michael Spindelegger, wonach die Regierung kein Asyl gewähren dürfe. "Bei uns kann nicht eine Regierung allgemein beschließen, wir nehmen einfach jemanden auf, das wäre ein Bruch unserer Rechtsordnung", hatte Spindelegger am Sonntag gesagt.

Verfassungsjuristen wiesen auf eine Bestimmung des Asylgesetzes hin, wonach die Republik Menschen von Amts wegen Asyl gewähren kann. Sollte Österreich mit den USA einen entsprechenden Vertrag abschließen, könnten Guantánamo-Häftlinge ohne Verfahren in Österreich aufgenommen werden, sagt der Staats- und Verwaltungsrechtler Gerhard Muzak von der Uni Wien. Verwunderung über Spindeleggers Aussagen, der am Montag nur mehr von einem System- und nicht einem Rechtsbruch sprach, herrschte auch beim Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte. Österreich habe schon während des Bosnienkrieges tausenden Menschen Asyl von Amts wegen gewährt.

In der EU sorgt Guantánamo ebenfalls für Kontroversen. Die EU sei bereit, den USA zu helfen, sagte Außenbeauftragter Javier Solana. Mehrere Staaten lehnen die Aufnahme von Häftlingen aber ab, Deutschland äußerte sich zurückhaltend.

*****

Spindelegger befürchtet Systembruch

"An unserem Nein wird sich nichts ändern", sagte Außenminister Michael Spindelegger am Rande eines Treffens mit seinen EU-Kollegen am Montag in Brüssel zur Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen. "Wir haben eben eine bestimmte Ordnung, die sagt: Man kann entweder über Asyl oder über Zuwanderung nach Österreich kommen, wir wollen jetzt nicht mit diesem Fall einen Systembruch riskieren" , meinte er. Am Sonntag hatte er noch erklärt, die Aufnahme von Guantánamo-Insassen wäre ein "Bruch unserer Rechtsordnung". Demnach könne die Bundesregierung nicht allgemein beschließen, jemanden in Österreich aufzunehmen. Namhafte Juristen sehen das hingegen anders.

Am Montag nahm der Außenminister seine Äußerungen etwas zurück. "Ich glaube nicht, dass das jetzt eine rein rechtliche Diskussion ist, es geht wirklich um eine Systemfrage. Es gibt ja viele Konfliktherde auf der Welt, und die würden viele Ansuchen nach sich ziehen. Wir haben eben eine Ordnung dazu, und die sollte man auch einhalten."

Die EU ist in der Frage der Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen gespalten. Portugals Außenminister Luis Amado sagte, zumindest sechs oder sieben EU-Staaten wären bereit, Häftlinge aufzunehmen. Sein Land sei "im Kontext einer europäischen Position" dazu bereit. Diplomaten zufolge haben die Vereinigten Staaten informell angefragt, ob die EU rund 60 Häftlinge aufnehmen könnte. Österreich sei in einer Art "Vorfühlprozess" vor einem dreiviertel Jahr gefragt worden, ob es eine Person aufnehmen könnte.

Zusätzlich zu den genannten Bedenken fehle auch ein klares Signal von US-Seite, um wie viele Personen es sich letztendlich handle und welche Informationen zu deren Lebenslauf geliefert werden könnten. Dazu stünden einer gemeinsamen EU-Position auch die von Land zu Land unterschiedlichen Asylverfahren entgegen, sagte der Außenminister.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat am Wochenende erste Voraussetzungen für eine mögliche Aufnahme von Häftlingen aus Guantánamo in Deutschland genannt.

Die US-Behörden müssten offenlegen, welche Vorwürfe gegen die möglichen Kandidaten bestanden hätten und welche weiterbestünden, sagte er in einem ZDF-Interview. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sprach sich hingegen prinzipiell gegen eine Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen in Deutschland aus. Diese wären "höchst gefährlich", meinte er.

Neue EU-Terrorliste

Angenommen haben die EU-Außenminister eine aktualisierte Liste von Terrororganisationen. Nicht mehr darauf befinden sich die iranischen Volksmujahedin. Die Exilopposition hatte bereits dreimal vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Sperre ihrer Gelder in der EU erfolgreich geklagt. Frankreich will gegen die Entscheidung des EuGH allerdings Berufung einlegen. Dagegen haben sich Österreich, Irland, Dänemark und Luxemburg für eine Streichung der Oppositionsgruppe von der Liste eingesetzt. (Michael Moravec aus Brüssel/DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2009)