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Dramatiker Peter Turrini, der im Moment über die Fabel eines Hackenattentäters intensiv nachdenkt: "Ich halte die Zuschauer gerne bei der Stange des Lachens." Seine "Wirtin" wird im Josefstadt-Theater von Sandra Cervik verkörpert.

Foto: Zoltan/APA

Standard: Was hat Sie bewogen, eine Neufassung Ihrer 1973 uraufgeführten Komödie "Die Wirtin" herzustellen? Der Stoff, nach Goldoni: Eine resolute Wirtin setzt sich gegen die Avancen von Adeligen zur Wehr. Sie behauptet sich mit Witz, um dennoch der Übermacht der Verhältnisse zu unterliegen. Welche Schrauben mussten Sie bei der Überarbeitung neu anziehen?

Turrini: Romanautoren beschreiben manchmal, dass sie beim Wiederlesen ihrer Texte bei dieser oder jener Stelle von Verzweiflung erfasst werden. Einen ähnlichen Vorgang kennt der Dramatiker beim Wiedersehen seiner Theaterstücke. Da die Wirtin in den letzten 30 Jahren viel gespielt wurde und ich mir immer wieder einmal eine Aufführung anschaute, gab es bestimmte Stellen oder Sätze, die eine große Abwehr, einen nachhaltigen Widerwillen in mir auslösten.

Standard: Beispiele?

Turrini: Es gibt aus dem Mund der Wirtin ein paar feministische Proklamationen, die weniger meiner literarischen Absicht als dem Zeitgeist entsprungen sind. Man merkt bestimmten Stellen die Zwangsabsicht des Witzelns nachhaltig an. Das weiß man beim Schreiben nicht und hält das zum Zeitpunkt der Abfassung für äußerst komisch! Außerdem gibt es Passagen, über die alle Schauspieler, die guten und die schlechten, gleichermaßen stolpern. Da fällt der Stolperstein zu Recht auf den Autor zurück!

Standard: Es bedurfte für die Neufassung des Anstoßes von außen?

Turrini: Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger bekundete die Absicht, meine Wirtin aufzuführen, und er fragte mich, ob es dazu meinerseits Überlegungen gebe. Meine erste war: Merze diese für dich schmerzhaften Stellen aus!

Standard: Also eine handwerkliche Sicht auf die Dinge der Dichtung?

Turrini: Meine Sichten sind fast immer handwerklich. Mein Vorschlag an Föttinger war: Lass mich ein paar dieser - wie haben Sie das genannt? - Schraubendrehungen vornehmen! Dann kam folgende Überlegung hinzu: Wäre es möglich, meine Erfahrungen, die ich als Hotelsekretär und Hoteldirektor in Bibione gemacht habe, in diese Neufassung einzuarbeiten?

Standard: Sie haben im italienischen Fremdenverkehr gearbeitet?

Turrini: Ein unaufgearbeitetes Kapitel, das in keiner Erzählung, keinem Gedicht vorkommt - diese eineinhalb Jahre in Bibione, die andererseits wieder sehr prägend und faszinierend waren.

Standard: Worin bestand Ihre Italienfaszination in den 1960ern?

Turrini: Im Sommer ist Bibione ein Ort, in dem man Tag und Nacht arbeitet und ziemlich gut verdient. Ab Herbst, wenn die Touristen weg sind, verwandelt sich Bibione in etwas anderes: Es bleibt ein Stammpublikum übrig, Kellner und Pizzabäcker, Hotel- und Barbesitzer ...

Standard: Der Badeort als Kulisse?

Turrini: Im buchstäblichen Sinne, denn in den großen Hotels werden die Fenster von innen weißgestrichen, damit keine Ausbleichungen passieren. Über die ganze Silhouette von Bibione blicken dich diese toten, weißen Augen an. Das Mit- und Zwischenmenschliche, Schurkische und Geschäftliche findet im Spätherbst in den kleineren Bars statt. Damals war das ein eigenes Biotop: Zu der Zeit, als ich dort war, wurden noch von ehemaligen Fischern Gründe verkauft.

Heruntergekommene venezianische Adelige versuchten dort abzuzocken, indem sie Kellnerinnen oder Besitzerinnen von Frisörsalons anbrieten, in der richtigen Einschätzung, dass diese im Sommer sehr gut verdient hätten! Besitzer einer gut gehenden Pizzeria waren im Oktober Lire-Millionäre. Eine unwiderstehliche Anziehungskraft! Deutsche Reisebüros schickten zudem in der Nachsaison Agenten, um Kontingente für das Folgejahr festzulegen. Dieses Personal bevölkerte überheizte Kaffeehäuser. Was für ein Gegensatz zum sommerlichen Leben! Heute ist natürlich alles zugebaut, und viele Touristen erreichen gar nicht mehr das Meer, sondern nur den hoteleigenen Swimming-Pool.

Ich begann als Barmann. Mein einziger wirklicher Karriereschritt führte mich auf den Posten eines Hotelsekretärs. Dann kam ein Hoteldirektor abhanden - und man machte mich zu seinem Nachfolger. Ich konnte Italienisch für das Personal, insbesondere den lombardischen Dialekt meines Vaters. Diese meine Bibione-Erfahrung drängte in die Literatur: Ich veränderte Ort und Zeit der Wirtin.

Standard: Das Stück neu koloriert?

Turrini: Ich habe das Barock als Zeithintergrund aufgegeben - und stand damit aber plötzlich vor der Frage: Was machst du mit der Sprache? Denn natürlich ist im Bibione der 60er-Jahre anders gesprochen worden als in meiner Komödie. Ich habe mich dann aber doch dafür entschieden, die Komödiantik und ihre Mechanik an keinen realistischen Jargon auszuliefern.

Standard: Werden der armen Mirandolina nicht auch neue Erfahrungen zuteil? Sie besitzt ihr eigenes Wirtshaus ja gar nicht. Sie fahren Ihren eigenen Figuren in die Parade: Die Schwächeren sind die besseren Komödianten. Nur nutzt ihnen ihr Witz am Ende gar nichts.

Turrini: Ich liebe die Commedia dell'Arte - der Halbitaliener in mir hört nicht auf zu rumoren. Mir ist jeder Theaterwitz bis zur Geschmacklosigkeit herzlich willkommen. Dann gibt es auch den politisch denkenden Autor. Und irgendwie werden die beiden zusammengespannt. Es hat vielleicht auch mit theatralischer Hinterfotzigkeit zu tun: Ich habe es gern, den Zuschauer möglichst lange bei der Stange des Lachens zu halten. Ebenso gerne habe ich es aber, wenn er am Schluss weiß, worüber er da gelacht hat. Die Ernüchterung, die harte Landung auf dem Boden der ökonomischen Realität ist mir extrem wichtig.

Nun gibt es in der neuen Josefstädter Fassung der Wirtin eine Pointe. Meine alte Fassung endet damit, dass der Cavaliere, düpiert von der Wirtin, die sein Liebeswerben nicht erhört, seine Macht ausspielt. Er sagt: Was zählt, ist das Geld! Die allerneueste historische Wendung, die vom Stück gar nicht erfasst ist: Die Kapitalisten, die nur an das Geld glauben, brechen ihrerseits mit ihren Geldsäcken ein ...

Standard: Sie werden von der Krise "enteignet" ?

Turrini: Der Adelige könnte die Wirtin, deren Wechsel er aufgekauft hat, verhaften. Nun überlegen wir: Wie bilden wir die allerneueste Entwicklung ab? Soll der Boden unter dem Cavaliere einbrechen? Der letzte Akt wäre: Die Kapitalisten sind ja auch nichts Bleibendes, ihre Welt geht gerade zugrunde! Wenn der Kommunismus 80 Jahre gebraucht hat, um endgültig zu scheitern, so könnte man auch sagen: Der Kapitalismus hat seit den 1990ern bloß 15, 17 Jahre gebraucht, um stehend unterzugehen!

(Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 24./25.01.2009)