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AP Photo/EastPress Co.

So schnell wie in Japan hat es Karl Marx noch nie in die Bestsellerlisten geschafft. 70.000 mal ist sein Hauptwerk "Das Kapital" seit Dezember verkauft worden - wunderhaft verwandelt in eine Liebesgeschichte in Form eines Manga, einem japanischen Comics. Auch weltweit könnte das Marx-Manga bald die Massen aufhetzen. Zehn ausländische Verlage, darunter ein deutschsprachiger, haben bereits um Lizenzen nachgefragt, sagt Kosuke Maruo (32). Der Manga-Cheflektor des kleinen East Press Verlags hofft, "dass wir ,Das Kapital' 300.000-mal verkaufen".

Verantwortlich für das erneute Interesse an Klassiker der Kapitalismuskritik ist Maruos Gespür für den Zeitgeist. Der witterte 2007 in eingedampften, bebilderten Versionen einflussreicher Werke eine Nische, in der er die großen Verlage überraschen könnte. Maruo: "Die Menschen haben die Bücher nicht gelesen, aber von ihnen gehört und wissen daher, dass sie interessant sind."

Goethe, Nietzsche, Kafka und Hitler

Ein schlechtes Gewissen wegen der Umwandlung hehrer Werke in leicht verdauliche Bilderbücher hat er nicht. Denn Mangas werden in Japan quer durch alle Bevölkerungsschichten verschlungen. Besonders deutschsprachige Autoren haben es Maruo angetan. Unter den bisher veröffentlichten 28 Titeln finden sich auch Goethes "Faust", Nietzsches "Also sprach Zarathustra", Kafkas "Verwandlung" und "Mein Kampf" von Adolf Hitler, der in der Verkaufsrangliste derzeit hinter Marx auf Rang fünf rangiert.

Vor allem aber wollte er Marx lesen. Denn ihn, wie viele seiner Landsleute erinnert das heutige Japan an den raubtierhaften Manchester-Kapitalismus, gegen den Marx angeschrieben hatte. Trotz der guten gesellschaftlichen Vorlage sperrte sich die trockene Marx'sche Theorie lange gegen die Umsetzung in ein saftiges Manga. Letztlich entschied sich das Team für eine "Meta-Übersetzung", so Maruo; eine Liebesgeschichte, die die Leser auf 190 postkartengroßen Manga-Seiten in "Das Kapital" einführt. (Martin Koelling aus Tokio / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.1.2009)