Freunden der Literatur wurde am Wochenende eine große Wohltat zuteil, und das - wenig überraschend - in der Zeitung, die ebenfalls an diesem Wochenende verkündete, in der Druckauflage erstmals Nummer 1 in Wien zu sein. Zwar glaubt man sich zu erinnern, dass sich "Österreich" schon ungefähr zwei Wochen nach seinem ersten Erscheinen zur Nummer 1 an sich erklärt hat, aber wiederholen schadet ja nicht, und Fellners Selbsthype ergänzt den Rummel, der in diesen Tagen zu Daniel Kehlmanns Ruhm abgewickelt wird, kongenial. Andere Medien gaben sich bisher mit Rezensionen der literarischen Sensation und/oder mit Interviews des jugendlichen Altmeisters zufrieden. Nur "Österreich" wusste wieder einmal dessen neuem Werk im Sinne des Konsumenten optimal gerecht zu werden, indem es die "pardon"-Tradition des "Roman kompress" wieder aufleben ließ.

Also wurde den "Österreich"-Kunden geboten, was in Kehlmanns "Ruhm" drinnen steht, erweitert um Handreichungen des Kulturredakteurs zur angemessenen Einschätzung des Werks bei Vermeidung seines Konsums. Mit Leichtigkeit (die eine hohe Kunst ist) erzählt Kehlmann auch in "Ruhm" neun locker miteinander verwobene Episoden, die zum Großteil Gewicht besitzen, zum kleineren Teil leichtgewichtig verpuffen, bewegt sich der "Ruhm"-Verdichter des Blattes im Strom der Exordialtopik heimischer Literaturkritik: Ein bisschen Lob, damit man auf der richtigen Seite ist, eine Prise Häme, damit man seinen Ruf als Intellektueller wahrt. Ob Kehlmanns neun Geschichten von ständig in Bewegung befindlichen, zwischen virtuellem Schein und realem Sein zerrissenen Paaren und Passanten (obacht, Anspielung!) nun "Weltliteratur" sind, bleibt dahingestellt. Zu lesen sind sie fast alle gut . . . Es muss ja nicht immer Kaviar sein.

Nach dieser Einstimmung liefert der Buchhalter als Kritiker durchnummerierte Inhaltsangaben aller neun Episoden, mit seiner Einschätzung, bei welcher es sich nun um "Weltliteratur" handle oder wo dieselbe dahingestellt bleibe. Episode 1 kommt nicht so gut weg: Keine "Weltliteratur", aber witzig. Auch in Episode 2 scheint Kehlmann noch nicht so richtig in Fahrt gekommen zu sein, aber immerhin eine ausgesprochen amüsante Geschichte.

Mit Episode 3 wird es allmählich besser, wenn auch die schriftstellerische Originalität zu wünschen übrig lässt: Eine schöne, voltenreiche Story, changierend zwischen Fiktion und Metafiktion, wie man sie auch von US-Meistererzählern wie Paul Auster (Mann im Dunkel) lesen könnte. Nach dieser bescheidenen Klimax geht es mit Nummer 4 auch schon wieder bergab: Die Episode wirkt konstruiert und ist keine Offenbarung.

Spätestens an dieser Stelle wird sich der "Österreich"-Leser vielleicht fragen, ob mit Kehlmann da nicht zu streng verfahren wird, gilt die große Zeit marktbeständiger Offenbarungen seit der Apokalypse des Johannes doch als ausgestanden. Episode 5 findet mehr Gnade, verweist aber dennoch auf einen grundlegenden Mangel des gesamten Werks: Eine packende Geschichte, von der man gerne mehr hätte. Ebenso schwankend bleibt die Einschätzung der weiteren Stationen des "Ruhms". Episode 6: Ein boshaft-lustiger Ulk in Anspielung auf Paulo Coelho. Sich mit diesem ranzigen Sinnstifter heutzutage noch einen Ulk zu erlauben, wäre zu billig, als dass es wirklich als boshaft-lustig durchgehen könnte.

Wer glaubt, danach bei der Episode 7 endlich literarische Befriedigung zu finden, wird enttäuscht. Sie ist nicht gerade das Filetstück von "Ruhm". Da kommt mit der Episode 8 schon eher ein Hieferschwanzl daher: Eine raffinierte erotische Geschichte mit modernem Inventar. Die 9. und letzte Episode kann dieses Niveau leider nicht halten. Sie entließ den Rezensenten von "Österreich" in eine literaturpatriotisch gut abgesicherte Ungewissheit: Arthur Schnitzlers Paracelsus hat das schon gewusst: "Sicherheit ist nirgends." Was Robert Musils Ulrich dazu eingefallen wäre, malt man sich selbst bei gut entwickeltem Möglichkeitssinn lieber nicht aus.

Dem "Österreich"-Fan, der nun überall mitreden kann, wo es um Ruhm geht, ist dennoch Vorsicht anzuraten. Welche der Episoden zum Großteil Gewicht besitzen, welche zum kleineren Teil leichtgewichtig verpuffen, bleibt letztlich im Ungewissen, sieht man ab von der geglückten Allegorese zu Episode 7 - Filetstück. Hilfreich wäre es gewesen, hätte sich "Österreich" auf seine bewährte Tradition besonnen und der Nacherzählung ein Episoden-Ranking beigegeben. Man hat doch einen kulturellen Ruf! (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 20.1.2009)